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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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jemandem zu fragen, der einen so offensichtlich liebt. Und so läßt du deinen Geliebten mit etwas zurück, das zunächst vielleicht lediglich eine milde Neugier ist. Vielleicht hat er ein paar Vermutungen, wer du sein könntest. Beiläufig - zunächst - macht er sich auf die Suche nach dir.
    Natürlich kann er das einzig sichere Beweismittel für deine Existenz nur durch den Akt der Liebe erhalten. Du mußt es so einrichten, daß du nicht nur eine der vielen bist, die er mit sich ins Bett nimmt. Du wirst auf jede einzelne davon eifersüchtig sein, es ist dir eine Qual, obgleich es nichts nutzt. Jedesmal, wenn er eine im Bett hat, wird er ihren Schweiß schmecken, die Kniekehle und die flaumige Linie lecken, die von ihrem Kreuz zur Spalte ihres Gesäßes führt, und er wird denken: Nein. Sie ist es nicht.«
    Lesya hängte die Maske an die Wand zurück, und ihre Hände waren so anmutig wie Schmetterlinge. »Was als bloße Neugier anfängt, wächst ihm bald völlig über den Kopf. Monate verstreichen. Er ist besessen. Jene Rivalinnen, die zu fürchten du die besten Gründe hattest, sind eine nach der anderen von seinem Benehmen beleidigt und vertrieben worden - denn welche Frau vermag nicht zu sagen, wann der Mann, mit dem sie im Bett liegt, an eine andere denkt? Doch du entziehst dich ihm weiterhin geschickt. Dein Geliebter benimmt sich allmählich wild und unnormal. Ihn beherrschen lediglich noch Liebe und Verlangen.
    Das ist dein Eröffnungszug.«
    Es war spät, und wenn Jane je Corindes Gunst wiedererlangen wollte, so mußte sie am Morgen strahlend und ausgeruht sein. Sie wäre jetzt gern gegangen, aber Incolore war noch immer wie aufgedreht. Sie sprachen über Lord Corvos Schwierigkeiten mit seinen Geliebten und Fata Jouissantes Chancen auf einen Senatorenmantel. Sie redeten über den Krieg. Sie debattierten die Verdienste von Hermelin-Eingeweiden als Katalysator für hautbefeuchtende Sprüche und ob die gesteigerte Wirkung die zusätzlichen Ausgaben rechtfertigte.
    Schließlich erhob sich Jane zum Gehen. An der Tür hielt sie inne und fragte, als wäre ihr plötzlich etwas eingefallen: »Diese Maske - kann ich sie ausleihen?«
    »Meine Liebe. Warum habe ich sie dir wohl gezeigt?«

    Jane wollte direkt nach Hause gehen. Aber irgendwie trugen sie ihre Füße von Termagant weg in Richtung auf Caer Arianrod. Ich werde nicht hineingehen, dachte sie in dem Aufzug zu Plaza Court D hinauf. Ich gehe nur in seinen Flur und dann gleich wieder hinunter. Die Aufzugtüren öffneten sich, und sie trat auf den Teppich hinaus. Ich gehe zu seiner Tür. Ich werde nicht anklopfen.
    Sie klopfte an. Fata Incolores Maske, an einer Schnur befestigt, baumelte ihr noch immer von der Hand herab. Ungeduldig schob sie sie in die Handtasche.
    Rocket öffnete die Tür. »Jayne«, sagte er ausdruckslos.
    »Darf ich hineinkommen?«

22

    Jane erwachte am frühen Morgen. Sanft löste sie sich aus den Laken und Rockets Armen.
    Sie zog sich rasch an, stopfte ihre Unterwäsche in die Handtasche und achtete darauf, Incolores nicht benötigte Maske mitzunehmen. Rocket schnarchte leise. Sie sah auf sein schlafendes Gesicht hinab. Der Mund stand ihm offen, wodurch er ziemlich einfältig aussah, und das fand Jane geradezu unwiderstehlich. Sie hätte ihn geküßt, fürchtete jedoch, er werde erwachen, und sie wollte ohne großes Aufsehen verschwinden.
    Die Straßen waren so gut wie leer. Die Luft war frisch und kühl und die Stadt überflutet vom frühen Morgenlicht. Jane schritt rasch dahin, sie rannte fast und schwang die Arme, um sich warm zu halten. Nach einer Weile trällerte sie einen alten Pop-Song vor sich hin:

»Hast du mich vermißt? Komm und küß mich.
    Stör dich nicht an meinen Schrammen ...«

    Ein Raubvogel-Mädchen hörte sie singen, lachte, sprang in die Luft und war verschwunden, verloren inmitten des blendenden goldenen Glanzes der Morgendämmerung, der von einer Million Glasfenster zurückgeworfen wurde. Jane schüttelte das Haar und hob die Stimme:

»Umarm und küß mich,
    küß mich, wo du magst ...«

    Ihre Stimme hallte von den Gebäuden und den weichen Backsteinwänden wider. Oh, wie gut fühlte sie sich!
    Es war ein wundervoller Morgen, ein vollkommener Morgen! Diese Stimmung hielt den ganzen Weg über bis nach Termagant an.

    Hoch oben quoll schwarzer Rauch aus dem Gebäude. Lange Rußstreifen zogen sich an seiner Seite herab. Die Straße war vollgestopft mit Evakuierten aus Termagant. Verwirrte und aufgeregte Nixen, Orends

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