Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick

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Frauen und Drachen gefeit war.
    Dann starb sie.

23

    Sylvia, die einen schmutzigen weißen Laborkittel trug, beugte sich über ein Elektronenmikroskop.
    »Mama?« fragte Jane.
    »Schhh.« Ohne aufzusehen, steckte sich Sylvia eine Zigarette in den Mund. »Zünd sie mir bitte an, ja, meine Liebe?«
    Jane gehorchte.
    »Süße kleine Kerlchen.« Ihre Mutter inhalierte tief und stieß den Rauch durch die Nase aus. »Sie geben sich wirklich alle Mühe, aber es fällt den dummen Dingern so schwer zu begreifen, was ich will.«
    Das Labor wirkte erschreckend normal: in einem unbestimmten Beigeton gestrichene Wände aus Schlackenstein, Laborplätze mit Arbeitsflächen aus Ebenholz, keine Fenster. Es war unerklärlich. Janes letzte Erinnerung war der in den weißen Nebeln über dem Quantenozean auseinanderfallende Melanchthon. Und jetzt das hier. Ihr schwirrte der Kopf. Sie fühlte sich seltsam und benommen. Es war wie das Gefühl, das sie immer etwa eine Stunde nach dem Einnehmen von Acid bekam, kurz bevor der Rausch zuschlug. »Wo bin ich?« keuchte sie.
    »Du bist im Spiralschloß«, sagte eine männliche Stimme.
    Sie fuhr herum.
    Der Neuankömmling war in einen Nadelstreifenanzug mit unmodisch schmalem Revers gekleidet. Er trug eine elegante schwarze Melone, dessen Krempe wie zwei Hörner hochstanden. Obwohl das Gesicht verhutzelt und verrunzelt war, saß tief in den Augen eine lebendige Heiterkeit. Der Mund war zu einem Lächeln gekräuselt.
    »Miß Jane«, sagte der Baldwynn. »Welch eine Freude, Sie wiederzusehen!«
    Jane sah ihn mit offenem Mund an.
    »Gestatten Sie?« Er bot ihr den Arm. »Es ist mir eine Ehre, Ihr Cicerone zu sein.«
    »Mein was?«
    »Ihr Führer.« Er tippte sich an den Hut - ein Gruß für Sylvia -, und geleitete Jane zur Tür. »Das Spiralschloß ist schließlich gewaltig groß, und in gewisse Teile möchten Sie bestimmt nicht zufällig hineinstolpern.« Sein Schritt war lang und energisch. Jane mußte sich beeilen, um mitzuhalten.

    »Als ich jung war, hatte ich einen Trans Am.« Die Stimme des Baldwynn war warm und vertraulich, jedoch nicht besonders kräftig. Jane mußte den Kopf senken, um ihn zu verstehen. Das leere Schweigen nach dem Zuknallen einer Schutztür hallte ihr in den Ohren, aber sie erinnerte sich nicht daran, das Zuschlagen der Tür selbst gehört zu haben.
    »Das war so ein richtiger Bolide, und ich hatte eine Menge Arbeit hineingesteckt. Damals hatte ich bei der Marinewerft einen Job als Schweißer, und immer, wenn sie uns für ein paar Wochen entlassen haben, hab ich mir einen Kumpel geschnappt, und wir sind auf dem Highway runter nach Fort Lauderdale gedüst. Wir haben uns am Steuer abgewechselt und hatten eine Thermoskanne mit schwarzem Kaffee und eine Hosentasche voller Amphetamine dabei, um uns ein Motelzimmer zu sparen. Wir haben das Radio laut aufgedreht und, öh, Queen und T. Rex gehört, vielleicht auch ein bißchen was vom frühen Springsteen. Eben das, was die örtlichen DJs auflegten. Wenn wir so dahingesaust sind und diese Woge Elektronen von der Ionosphäre herabgesungen hat, dann war es, als wäre den Maschinerien der Nacht eine Stimme verliehen worden. Wenn du lange genug gefahren bist, dringt dir der Highway in den Schädel, und du hast ein ähnliches Gefühl wie beim Meditieren. Du wirst sehr ruhig. Nur die Hände und das Lenkrad bewegen sich. Die Welt fließt unter dir dahin.«
    Jane runzelte die Stirn. Mit aller Kraft versuchte sie, seiner Erzählung durch das Dickicht unvertrauter Ausdrücke zu folgen. Ein Zweig zerbrach unter ihren Füßen. Sie blickte hinab und sah, daß sie einen Pfad durch einen dunklen Wald entlanggingen. Von den Ästen der Bäume sprossen keine Zweige, sondern menschliche Körperteile. Ein Ast in der Nähe bestand nur aus Händen, die reglos in der stillen Luft hingen. Eine klare Flüssigkeit sammelte sich unter den Nägeln und bildete Tropfen an den Fingerspitzen, die schließlich mit einem traurigen Platschen auf den Lehm hinabfielen.
    »Einmal, als wir zwischen zwei und drei Uhr nachts durch Carolina gefahren sind, haben Jerry-D und ich einen weißen Lotus mit zwei Blondinen in den Scheinwerfer bekommen. Wir hupten und winkten. Sie haben uns den Stinkefinger gezeigt und das Gaspedal bis zum Boden durchgetreten. Ich natürlich auch, aber selbst mit Doppelvergaser war es kein Wettrennen. Wir hatten eine aufgemotzte Karre, sie aber einen absolut heißen Schlitten. Wir mußten kleine Brötchen backen.«
    Zu beiden Seiten des Pfads