Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
bist.« Vico trat ihr aus dem hinteren Teil des Raumes entgegen, der mit
einem Vorhang vom übrigen Laden abgetrennt war. Es schien ihr, als habe er nur darauf
gewartet, dass sie sich in Ruhe einen Überblick verschaffte, um dann zur rechten
Zeit in Erscheinung zu treten.
»Was soll
das bedeuten?« Er hatte sie hierher bestellt, ohne weitere Erklärung. Sieglinde
war in den vergangenen Tagen schlechter gelaunt gewesen als sonst, vor allem ihrem
Ehemann gegenüber verhielt sie sich merklich kühl. Jolanthe hatte kaum eine Möglichkeit
gefunden, sich aus dem Haus zu stehlen, denn neben ihrer Arbeit im Kontor an den
Büchern musste sie Sieglinde dabei helfen, die Zimmer im Frühjahrsputz von Grund
auf zu reinigen.
Zunächst
hatte Jolanthe geglaubt, Vico wolle mit ihr über seine Frau reden. Als wenn sie
als ungeliebte Schwester in diesem Fall irgendeine Einwirkungsmöglichkeit gehabt
hätte, ausgerechnet sie. Nun aber stand sie in diesem Laden, und ihr dämmerte, dass
das heimliche Zusammentreffen andere Hintergründe hatte.
»Ein Wandteppich?«
Sie blieb vor einer kleineren Tapisserie stehen, die Vico in Augenhöhe an ein freies
Stück Wand gehängt hatte.
»Ein günstiges
Stück aus Oudenaarde in den Niederlanden. Dort produzieren sie billiger als in Brüssel,
wie mir der Händler versicherte. Wenn sie gut gehen, wird er nachliefern.«
Günstig?
Sie wusste nur, dass in Ulm vor allem die wirklich Reichen und die, die so gelten
wollten, Wandteppiche erstanden. Gut, dieses Stück war klein – aber dennoch. Das
Muster aus Dreiecken, geschlungenen Bändern, Blüten, Streifen und Rauten konnte
nicht leicht herzustellen gewesen sein.
»Und hier
habe ich Seife aus Genua, gemacht mit Olivenöl, und ein paar Ikonen aus kretischer
Herstellung. Außerdem kann man bei mir feinstes italienisches Papier erwerben.«
Er deutete auf einen Holzkasten.
Jolanthe
blickte in die angegebene Richtung und erkannte, dass im hinteren Teil die Regale
leer geblieben waren. Noch, vermutlich.
»Das ist
unglaublich«, sie wiederholte sich, aber sie wusste einfach nichts anderes zu sagen,
geschweige denn, das Gesehene einzuordnen.
»Ich habe
dich hergebeten, um dir etwas vorzuschlagen.«
Sofort war
die Vorsicht zurück, sie brauchte sie gar nicht bewusst zu rufen.
»Was?«,
antwortete sie und musterte ihn. Ihr fiel auf, dass sie an ihm noch nie zuvor eine
solche Begeisterung für etwas erlebt hatte.
»Wir müssen
mit dem Kontor neue Wege gehen, das sagst du doch selbst immer wieder. Nun habe
ich etwas gefunden und hoffe auf deine Hilfe. Ich habe die Kontakte zu den Fernhändlern
sowie zu der reichen Gesellschaft Ulms. Ich weiß, was den Leuten gefällt, was sie
haben wollen. Wenn sich erst herumspricht, dass man die Dinge hier am Münsterplatz
erstehen kann, alle an einem Ort, dann werden wir einen guten Gewinn erwirtschaften.«
Er wollte
ihre Hilfe? Seit wann behandelte er sie auf Augenhöhe – und überhaupt, wie sollte
diese Hilfe aussehen?
»Wer hat
das alles hier bezahlt?« Sie wusste, dass das Geld nicht aus der Schatulle des Kontors
kam, solch große Summen hatten sie zum einen nicht, und zum anderen hätten größere
Abgänge nicht an ihr vorbei und somit nicht ohne Zustimmung ihres Vaters ausgegeben
werden können.
»Ich habe
es mir geliehen. Ein befreundeter Kaufmann, der nebenbei Geldgeschäfte tätigt. Absolut
vertrauenswürdig.«
Er wich
Jolanthes Blick aus. Sie wollte nicht fragen, wie hoch sich Vico verschuldet hatte,
wenn sie die Dinge in einem Laden sah, wollte sie es gar nicht wissen, sie konnte
es sich denken.
»Auf deinen
Namen?«, fragte sie stattdessen und registrierte mit Grauen, dass Vico ihr erneut
auswich.
»Ich hatte
keine andere Wahl. Du weißt, wie stur dein Vater ist.«
Gott steh
uns bei, dachte sie nur. Wenn Vico solche Summen mit dem Kontor als Sicherheit geliehen
hatte, dann war das ihr Ruin, sollte irgendetwas nicht so laufen, wie er es plante.
Wenn sie sich umsah, kam ihr das mehr als wahrscheinlich vor.
»Du könntest
dich zur Abwechslung um die Geschäfte des Kontors kümmern, das wäre auch eine Lösung.«
Als ich deine Hilfe brauchte, hast du mich nicht unterstützt, dachte sie. Und nun
soll ich dies hier mittragen? Dieses Abenteuer mit ungewissem Ausgang?
»Dein Vater
lässt es doch nicht zu. Er geht nicht mehr ins Handelshaus, um sich nicht zeigen
zu müssen, stattdessen befehligt er mich herum, dies darf ich tun, jenes nicht.
Selbst mitdenken ist unerwünscht. Manchmal behandelt er
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