Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Cornelius besser als mich.«
»Weil der
fähiger ist«, antwortete Jolanthe leise, doch Vico hatte es sehr wohl verstanden.
Er musterte sie, so als sei ihm nicht klar, wie er nun reagieren solle. Offenbar
entschied er sich weiter für Freundlichkeit.
»Es geht
so nicht weiter. Das Kontor braucht Geld und muss neue Wege beschreiten.«
»Sieh an.«
»Und deshalb
bin ich mir sicher, dass du mir hilfst in meinen Bemühungen.«
Nein, so
hatte sie sich die neuen Wege nicht vorgestellt. Andererseits, war bei ihrer Lösung
nicht auch zu Beginn eine Verschuldung vonnöten? War sie somit so viel besser als
Vicos Wahl?
»Was soll
ich tun?«, fragte sie und versuchte dabei unverbindlich zu erscheinen. Bloß keine
zu frühen Zugeständnisse oder Ablehnungen, erst einmal schauen, was er will.
»Während
ich die Geschäfte des Kontors im Blick behalte und mich um den Ankauf von neuer
Ware für den Laden sowie die Bewerbung der bereits vorhandenen bemühe, verkaufst
du hier.«
Das saß.
Gleichberechtigte geschäftliche Partnerschaft? Von wegen. Sie war verwöhnt von Pascals
Wertschätzung, das war das Problem.
»Ich soll
mich hier hinstellen und wie eine Hökerin die Waren unter die feine Herrschaft bringen?«
Vico verdrehte
die Augen. »So unterschiedlich ihr Schwestern doch seid, aber in manchen Dingen
verhaltet ihr euch gleich. Was habt ihr nur dagegen, hier zu stehen und zu verkaufen?
Hökerinnen verschachern billigen Tand. Siehst du hier desgleichen?«
Nicht nur,
dass er sie von oben herab behandelte, sie war zudem auch noch zweite Wahl? Sieglinde
hatte bereits abgelehnt? Kein Wunder, dieses Mal musste sie ihr ausnahmsweise recht
geben.
»Weißt du,
Vico, am besten jeder von uns macht sein Geschäft allein. Du braucht mich nicht
vor Vater zu unterstützen, ich halte mich aus deinen Dingen heraus. Wer auch immer
am Ende Erfolg hat, der entscheidet das weitere Geschick.« Es kam einer Kampfansage
gleich, das war ihr klar. Aber ebenso klar war ihr, dass diese Entwicklung unausweichlich
war.
Kapitel 23
Jolanthe saß auf der Umfassung des
Brunnens und sah hoch zu den Figuren an der Fassade des Kaufhauses. Karl der Große,
der Kaiser, wegen seines Ansehens und seiner Wichtigkeit thronte er in der Mitte.
Ihn umrahmten die Könige von Ungarn und Böhmen sowie die sechs Kurfürsten. All das
hatte ihr Vater erklärt, als sie ein kleines Mädchen gewesen war und staunend vor
dem Gebäude stand. Sie lächelte bei dem Gedanken daran, wie sie voller Ehrfurcht
das erste Mal an der Hand Winalds das Kaufhaus betreten durfte. Sie hatte sich sehr
wichtig gefühlt und sich nichts sehnlicher gewünscht, als in dieser großen Halle
ihre selbstgefertigte Kette aus Knochenperlen zu verkaufen. Sie wollte wie die Männer
ihre Ware anpreisen. Der Vater hatte sie mit einem Schmunzeln zurückgehalten. Im
Grunde hatte sich daran bis heute nichts geändert. Nur das väterliche Schmunzeln
war verschwunden.
Ihr Blick
glitt höher. Im zweiten Stock, hinter den mit Türmchen verzierten Fenstern, tagte
regelmäßig der Rat in seinem Sitzungssaal. Jolanthe stützte sich mit beiden Händen
auf die Brunnenumrandung und lehnte sich vor, ließ die Beine baumeln. Sie riss sich
los vom Anblick der Fassade und schaute auf den Eingang zu der Tuchkaufhalle im
unteren Stock. Ihr schien es, als säße sie schon ewig hier, doch Pascal hatte sich
bislang nicht blicken lassen. Dafür war Cornelius bereits dreimal an ihr vorbeigekommen.
Sie aber wartete weiter, mochte ihr Kontormitarbeiter noch so neugierig zu ihr herüber
starren, sie würde bleiben, bis sich der zeigte, mit dem sie reden musste.
Zu ihrem
Glück hatte Sieglinde letztlich kein Eckchen im Haus mehr gefunden, das noch reinigungsbedürftig
hätte sein können. Nun konnte Jolanthe endlich etwas tun. Vicos Schulden blieben
beängstigend, ganz gleich, wie man es drehte und wendete. Wenn er scheiterte, würden
die Gläubiger ihnen alles nehmen. Was das für Vater bedeuten würde, mochte sie sich
nicht vorstellen. Sein Lebenswerk, alles, wofür er gearbeitet und gekämpft hatte,
auf diese Art zerstört zu sehen, würde ihn treffen, mehr noch als das verlorene
Bein.
Wie viel
wusste Sieglinde von alldem? Wäre es in ihrem Sinne gewesen, wenn Jolanthe Vico
nachgegeben und in seinem Laden Waren verkauft hätte? Dann wäre sie zumindest aus
dem Weg gewesen und hätte die Finger vom Kontor gelassen. »Das denkst du dir so,
meine Liebe«, sagte sie leise, ließ den Blick nicht vom Eingang des Kaufhauses
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