Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
erreichen.«
Der Kerl
ist hartnäckig, dachte Jolanthe. Um Zeit zu gewinnen, nahm sie sich ein Hühnerbein
und nagte das Fleisch ab. Pascal hatte ihr nahegelegt, heute Abend gut zu essen,
zumal unklar sei, wann sie wieder ein solches Festmahl vorgesetzt bekämen. Also
aß sie, obwohl sie bereits satt war, und dachte dabei nach. Unvermittelt kam ihr
eine Idee. Der Kaufmann führte sicher nicht nur fertigen Schmuck mit sich, den er
betuchten Frauen anzudrehen versuchte. Dafür würde sich eine solche Reise nicht
lohnen, er hatte gewiss auch anderes zu bieten.
»Führt Ihr
auch Perlen mit Euch?«, fragte sie ihn und versuchte, möglichst unschuldig zu schauen.
Der Mann
blickte sie erstaunt an. »Warum wollt Ihr das wissen? Glaubt mir, eine Perle hat
keinerlei Schutzwirkung.«
»Aus Interesse.«
»Dann lasst
Euch gesagt sein, die Perlen kommen den umgekehrten Weg und zwar von Venedig her.
Sie werden in Indien und Ceylon gewonnen, ebenso wie Smaragde und Rubine. Wenn Ihr
Euch dafür interessiert, so fragt im deutschen Haus in Venedig nach, aber ich sag’s
Euch gleich, auch als Rohstoff sind sie nahezu unbezahlbar.«
Er hatte
nun einen belehrenden Ton angeschlagen und sprach, wie er wohl zu seiner Tochter
reden würde, aber Jolanthe störte das nicht. Sie konnte nicht genug erfahren über
sein Metier und fragte ihn weiter aus. Schließlich war er so in Fahrt, dass er ihr
einen Händler verriet, wo sie die Perlen zu einem guten Preis erwerben konnte. Jolanthe
war zufrieden über die Ausbeute an Informationen. Sie trank einen Schluck Wein und
nahm sich von der Pastete. Ihr Bauch fühlte sich zum Platzen an, aber es schmeckte,
und die Gesellschaft gefiel ihr, zudem hatte Pascal gesagt …
Martha stupste
sie von der Seite an und raunte ihr zu: »Sei vorsichtig mit dem Wein, du willst
doch morgen auf dem Pferd bleiben.«
Jolanthe
musste kichern, hielt sich die Hand vor den Mund und bekam einen Schluckauf.
»Siehst
du«, raunte Martha wieder. »Aber glaub nicht, dass ich ein Mittelchen gegen das
habe, was dir morgen bevorsteht, wenn du dich jetzt nicht zurückhältst.«
Jolanthe
hörte auf zu kichern und schob den Becher von sich weg. Martha hatte ja recht.
Die ersten Tage auf der Reise durch
die Alpen kamen sie gut voran. Berghänge zu beiden Seiten nahmen dem Blick die Weite.
Wenn die Sonne am Himmel stand, so erwärmte sie nur für kurze Zeit Mensch und Tier,
um bald darauf wieder hinter der Bergsilhouette zu versinken. Die Maultiere verschwanden
unter den Lasten, die sie trugen, und trotteten hintereinander über die ausgetretenen
Wege, dazwischen die Bewaffneten und die Kaufleute auf ihren Pferden. Sie schlugen
ein gemächliches Tempo an, denn jeder wusste, was ihnen noch in höheren Regionen
bevorstand.
Pascal ritt
am Ende der Gruppe, vor sich Martha. Der Tag neigte sich dem Ende zu. Bis auf eine
kurze Rast am Mittag ging es gleichförmig langsam voran, immer stetig bergauf. Ihr
Ziel, ein Hospiz, in dem sie übernachten konnten, rückte näher, genauso wie die
dunklen Wolken, die die Berggipfel verschwinden ließen und die ihren Anführern seit
einer Weile Sorgen bereiteten. Sie versuchten, das Tempo zu forcieren, bislang ohne
Wirkung. Ihr Tross war zu groß und schwerfällig, die Strecke ging zu stetig bergauf.
Pascal fixierte
Marthas Rücken und versuchte nicht an den möglichen Unbill zu denken, der ihnen
mit einem Gewitter in den Bergen bevorstand. Das bunte Muster ihres Kleides diente
ihm als Konzentrationspunkt für seine Überlegungen. Er war froh, dass Martha beschlossen
hatte, sie zu begleiten. Sie kannte die Gefahren und Unwägbarkeiten einer solchen
Reise, wusste, mit welchen Schwierigkeiten sie würden zu kämpfen haben. Er war froh,
dass auch sie nun auf Jolanthe aufpassen konnte, deren Unbekümmertheit ihm ab und
an Probleme bereitete. Gut, woher sollte sie auch wissen, worauf sie achten musste,
wenn sie kaum je aus Ulm herausgekommen war. Andererseits konnte er nicht ständig
um sie herum sein – und er wollte es auch nicht. Es war ihm ohnehin schon zu viel,
wie sehr er sich um sie sorgte. Er wollte nicht öfter an sie denken, als er es sowieso
schon tat, das war nicht gut und nicht richtig.
So abgeklärt
und klug sie in manchem war, bei anderen Dingen ging sie ihm allzu sorglos zu Werke.
Die Frage, wie sie allein als Frau unter Männern reisen sollte, schien sie sich
zum Beispiel nie gestellt zu haben. Für ihn hatte sich das Problem mit Marthas Beteiligung
gelöst. Sie als Begleiterin,
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