Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Schreck. Er wusste, wer da geschrien hatte. Mühsam kam er auf
die Beine und rannte zur Tür, doch draußen herrschte nur stille Nacht. Pfützen glitzerten
im Licht des Mondes, der sich durch die Wolkenfetzen schob. Ihm wurde eiskalt.
»Jolanthe?
Sag was!« Er konnte kaum atmen. Hektisch wandte er sich nach links, dann nach rechts
– wohin? Wo konnte sie sein? Was war geschehen? Der Abort, kam ihm in den Sinn,
und er hastete in dessen Richtung, als er um eine Hausecke bog und in jemanden hineinrannte.
Er bekam einen Ellbogenstoß in die Brust, wurde zurückgeworfen.
»Jolanthe?«,
keuchte er und wusste doch, dass er es mit einem Mann zu tun hatte. Einem Mann,
der eine Frau festhielt. Er konnte ihre Silhouette mit dem langen, offenen Haar
erkennen, das durch die Luft wirbelte, als sie sich wehrte. Der Mond verschwand
wieder und hinterließ Dunkelheit. Pascal stürzte sich vor, bekam jemanden am Arm
zu fassen. Er roch ungewaschen und nach Schweiß. Ich darf nicht zuschlagen, sonst
treffe ich vielleicht Jolanthe. Doch es war nicht Jolanthe, die er hielt. Die Faust,
die sich in seinem Magen grub, war hart. Ein stechender Schmerz durchzog seinen
Unterleib. Pascal stöhnte, eine Welle von Übelkeit überkam ihn, doch er blieb stehen,
bekam den anderen am Genick zu packen, drückte ihn mit seinem Arm nach unten. Der
Mann schnaubte. Pascal spürte einen Tritt gegen sein Bein, er verlor das Gleichgewicht,
fluchte, musste seinen Gegner loslassen. Der Schatten rannte über den Klosterhof
und verschwand in der Dunkelheit.
»Pascal,
was wollte der von mir?«, keuchte Jolanthe.
Er lag am
Boden. Eine weiche Hand fuhr über seine Wange, dann über seine Lippen. Atem kitzelte
ihn, und als ihre Lippen seine berührten, streifte sie mit ihrer Nase seine Wange.
Sie ging auf Abstand. Bleib, dachte er. Mach weiter. Er hielt sie fest, zog sie
zu sich hinunter und küsste sie erneut. Er spürte ihren Widerstand, der schwacher
wurde, dann wieder stärker.
»Lass! Ich
liege in einer Pfütze und werde klatschnass.«
Sein Unterleib
begann wieder zu schmerzen. Frauen, dachte er und erhob sich mühsam. Er wollte nicht
mehr denken, nicht mehr fühlen. Es wurde ihm alles zu viel. Erst die Sorge um Jolanthe,
dann diese Zuneigung, all das wollte er nicht mehr ertragen. Er musste schlafen,
der Rest, den würde er auf morgen verschieben. Wie hatte Martha so schön gesagt:
Morgen wird die Luft klar und rein sein. Ein guter Tag zum Reisen. Oh ja und zum
Nachdenken, Ordnung in die Dinge bringen auch, ganz sicher.
Kapitel 25
Als Jolanthe am Morgen
erwachte, musste sie nur ein-, zweimal blinzeln, um die Bilder von der Nacht
wieder vor Augen zu haben. Zuerst das Gewitter, das sie in einer solchen Heftigkeit
noch nie erlebt hatte. Sie konnte sich erinnern, einmal in Biberach bei der Tante
auf dem Hof zu Besuch gewesen zu sein für ein paar Tage. Da waren sie von einem
Unwetter überrascht worden, als sie auf dem Feld arbeiteten. Etliche Meter weiter
spaltete ein Blitz eine Eiche in zwei Hälften. Sie hatten sich auf den Boden gedrückt,
durchnässt vom Regen, und Jolanthe hatte die Gefahr gespürt, so als würde sie ihr
mit eisiger Hand in den Nacken greifen. Hier in den Bergen aber schien das Donnergrollen
wie der Zorn Gottes über sie zu kommen. Die Berge hatten gespenstisch gewirkt im
Licht der Blitze.
Jolanthe
starrte auf den Boden, auf dem sich Sonnenlichtflecken ausbreiteten, dort, wo das
Licht durch die Ritzen der Läden fiel. Martha schien Recht zu behalten, der Tag
würde wunderbar werden.
Sie warf
einen vorsichtigen Blick zur Seite, dort wo Pascal neben Martha schlief. Beide hatten
sich in ihre Decken gewickelt und die Augen geschlossen. Pascals Atem ging regelmäßig,
sie konnte seine Schulter sehen, der Stoff seines Hemdes war schlammverspritzt.
Auch wenn sie es lieber geträumt hätte, aber der Überfall und alles, was danach
gekommen war, schien wirklich geschehen zu sein. Sie wusste nicht, wie sie damit
umgehen sollte. Leise erhob sie sich und stieg über die Schlafenden, um zur Tür
zu gelangen. Auf dem Hof hörte sie den Gesang der Mönche aus der nahen Kirche. Hoch
schraubten sich die Stimmen, um dann wieder in die Tiefe zu fallen und von Neuem
zu beginnen. Jolanthe atmete tief die kühle Luft ein und ging zu einem Brunnen.
Den leeren Eimer schob sie über den Rand, er polterte gegen die Brunneneinfassung,
bis das Seil sich straffte. Sie ließ ihn hinunter ins Wasser und zog ihn gefüllt
wieder hoch. Die Winde quietschte bei
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