Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
das entband ihn von unangenehmen Erklärungen.
Er hatte
Jolanthe in den letzten Tagen unauffällig beobachten können. Ihre Neugier, mit der
sie die fremde Umgebung aufnahm, ihre Begeisterung hatte etwas Unverbrauchtes. Und
doch debattierte sie am Abend hart mit den Kaufleuten und verhielt sich mehr wie
ein Mann als eine Frau. Er mochte ihre Widersprüchlichkeit. Und wenn sie sich über
vieles keine Gedanken zu machen schien, sondern einfach tat, was sie für richtig
hielt, mit einer Zielstrebigkeit, die ihm imponierte, dann beneidete er sie um ihre
Unbekümmertheit, ihre Art, sich nicht um Konventionen zu scheren. Er konnte das
nicht. Es fehlte ihm etwas, und in Augenblicken wie diesem wurde ihm dieser Mangel
schmerzhaft bewusst. Jolanthe würde ihre Zeit nicht mit Rachefeldzügen vergeuden.
Sie würde nicht einmal Verständnis dafür haben, dass jemand das tat.
Über diese
Grübeleien hinweg bekam Pascal nur am Rande mit, dass das Donnergrollen sich verstärkte.
Erst als Rufe zu ihm drangen, schrak er hoch. Die Maultiertreiber schlugen mit Ruten
auf die Tiere ein, trieben sie voran auf dem holprigen Weg. Das Grollen hielt sich
noch in der Ferne, aber es hörte sich bedrohlich an. Pascal schloss zu Martha auf
und fragte: »Reicht es noch bis zu diesem Hospiz, was meinst du?«
»Unsere
Führer scheinen das zu glauben, sonst würden wir nicht in diesem Tempo weiterreiten.«
»Und was
glaubst du?«
»Ich glaube,
dass hier ein Kloster in der Nähe ist, das Pilger aufnimmt. Reite zu dem Holzkopf
da vorn und sag ihm einen schönen Gruß von mir. Auf Frauen hört er wohl nicht.«
»Dabei ist
das manchmal durchaus zu empfehlen.« Er zwinkerte, doch sie blieb ernst und schickte
ihn mit einem Nicken in die Richtung ihres Anführers.
Erste Tropfen
prasselten hernieder. Unvermittelt war das Grollen so nah, als habe es in der nächsten
Schlucht gelauert, um sich auf sie zu stürzen. Pascal schob die Kapuze seines Umhangs
über seinen Kopf, während er mit den anderen Männern redete. Er spürte, dass sein
Pferd nervös wurde, es schlug mit dem Kopf, die Ohren zuckten vor und zurück, es
schnaubte.
Sie beschlossen,
das Kloster aufzusuchen. Pascal vermutete, dass nicht nur seine Argumente die anderen
überzeugten, sondern auch die Heftigkeit, mit der die Natur die Menschen bedrohte.
Er sah den ersten Blitz über sich, als sie zum Tor eingelassen wurden. Er erleuchtete
den Himmel, kurze Zeit später krachte es ohrenbetäubend. Die Mönche, sonst nur auf
Pilger eingestellt, nahmen sie dennoch auf. Bald hockten sie gemeinsam im Gästehaus.
Die Tiere wurden von den Knechten im Stall versorgt. Ihre Umhänge hatten sie am
Feuer zum Trocknen aufgehängt und lauschten dem Donnern, dem Sturm und dem Regen,
der gegen die geschlossenen Holzläden schlug.
»Unwetter
sind in den Bergen heftiger als anderswo«, sagte Martha leise. Pascal hatte darauf
bestanden, dass die Frauen bei ihnen blieben in der Nacht.
»Aber gleich
so?«, Jolanthe hatte eine Decke um sich geschlungen und starrte in ein Talglicht,
das auf dem Tisch vor ihr brannte. Sie hatte Brot und Suppe kaum angerührt. Pascal
schob ihre Holzschale ein Stück auf sie zu.
»Du musst
bei Kräften bleiben.«
»Ich habe
keinen Hunger.«
»Doch, den
hast du.«
Sie lächelte
schräg, und ihm fiel ihre bleiche Gesichtsfarbe auf. Offenbar hatte sie mehr Angst,
als sie zugeben wollte. Er selbst verspürte keine Sorge mehr, seit sie sicher im
Kloster saßen.
»Hier passiert
uns nichts«, mischte Martha sich ein. »Er hat recht, du musst essen.«
Jolanthe
griff nach dem Brotstück, machte endlose Pausen zum Kauen und hielt erneut inne,
als ein Donnerknall alle zusammenzucken ließ.
»Morgen
wird die Luft frisch und klar sein«, sinnierte Martha. »Es wird ein guter Reisetag.«
Sie machte eine Pause. »Falls wir die Umhänge bis dahin trocken bekommen.«
Leises Beten
drang aus einer Ecke zu ihnen, dort, wo sich der jüngste Kaufmann zurückgezogen
hatte. Auch Pascal schloss die Augen und sprach ein stummes Dankesgebet dafür, dass
der Herrgott sie sicher hierher geleitet hatte. Sie blieben sitzen, bis das Grollen
nur noch in der Ferne zu hören war und Jolanthe mit Heißhunger ihre Schüssel leer
aß. Dann legten sie sich auf die Strohmatten am Boden. Pascal starrte in die Dunkelheit
und konnte nicht schlafen. Er sah einen Schatten zur Tür huschen. Vermutlich jemand,
der auf den Abort wollte. Als plötzlich der spitze Schrei einer Frau erklang, blinzelte
er zunächst nur vor
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