Die Todesbraut
nahm sie an einem Ecktisch Platz und begann zu lesen. Es wurde nichts ausgelassen, seine Karriere bei der Armee, seine Teilnahme am »Bloody Sunday«, die darauffolgenden Jahre in der Politik und schließlich sein tragischer Unfall. Unter einem kleinen Photo von Tom Curry wurde diskret erwähnt, daß die beiden seit vielen Jahren zusammenlebten. Auch die Umstände von Currys tragischem Tod wurden in aller Breite geschildert, und die Schlußfolgerung war offensichtlich. Ganz automatisch blätterte Grace weiter und sah ein Archivfoto von sich selbst. Der nebenstehende Artikel war kurz und sachlich: Während Grace mit ihrem Motorrad vom King’s Head nach Hause fuhr, hatte die Polizei versucht, sie wegen überhöhter Geschwindigkeit aufzuhalten. Aus unbekannten Gründen habe sie sich geweigert, stehenzubleiben, und sei nach einer wilden Verfolgungsjagd in Wapping über eine Kaimauer gestürzt. Die Flußpolizei sei immer noch auf der Suche nach ihrer Leiche.
»Sehr clever, Ferguson«, murmelte sie, trank einen Schluck Kaffee und blä tterte zur Titelseite zurück. Rupert war in Uniform abgebildet und trug das rote Barett des Fallschirmjägerregiments sowie zwei Orden. Den einen hatte er für seinen Einsatz in Irland erhalten, der andere war das Militärverdienstkreuz. Das Foto war offens ichtlich anläßlich der Ordensverleihung durch die Königin vor dem Buckingham Palace aufgenommen worden. Rupert sah darauf blendend aus und hatte etwas Draufgängerisches an sich.
»Lieber Rupert«, flüsterte sie. »Ich habe nie verstanden, warum du es getan hast. Nichts habe ich verstanden.«
In dem Zeitungsartikel hieß es, daß Ruperts Leichnam in einem Bestattungsunternehmen namens Seatons & Sons in der Great George Street in der Nähe des Finanzministeriums aufgebahrt war, so daß ihm Freunde und Kollegen die letzte Ehre erweisen konnten. Die Trauerfeier sei am nächsten Tag um fünfzehn Uhr in St. Margaret’s in Westminster angesetzt. Grace dachte eine Weile nach, dann breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Es war selbstverständlich, daß sie sich von Rupert verabschieden würde, aber zunächst mußte sie noch etwas erledigen. Sie stand auf und wechselte an der Kasse ein bißchen Kleingeld. Dann sah sie sich nach einem Telefon um.
Belov saß in seinem Büro in der Botschaft, nahm den Hörer ab und erkannte augenblicklich ihre Stimme. Er war aufgeregt und nervös.
»Wo stecken Sie?«
»An einer Autobahnraststätte kurz vor London.«
»Was ist passiert? Die Nachrichten brachten keine Meldung. Haben Sie ihn erwischt?«
»Oh ja, Yuri, ich habe ihn hervorragend getroffen, jagte ihm zwei Kugeln in den Rücken, nur leider trug er eine KevlarWeste.«
»Verdammt!«
»Sie waren alle da, Ferguson, Dillon und Bernstein, aber ich konnte ohne Schwierigkeiten entkommen.«
»Und Sie flogen mit Carson wieder zurück?«
»Ja, aber es ergab sich ein kleines Problem. Er erkannte mich und stahl mir ein paar tausend Pfund, die ich im Koffer verstaut hatte.«
Belovs Kehle schnürte sich zu. »Da haben Sie ihn erschossen.«
»Ich hatte keine Alternative. Ich ließ ihn neben seinem Flugzeug im Hangar liegen.«
»Sie töten wohl jeden, Grace, und das, ohne mit der Wimper zu zucken«, sagte Belov bitter.
»Sie haben schließlich mitgeholfen, mich zu erschaffen, Yuri. Sie wollten einen Todesengel, und Sie haben ihn bekommen. Aber lassen wir das. Was werden Sie jetzt tun?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wenn Sie meine Meinung hören wollen, ich finde, Sie haben keine Wahl. Wenn Sie nach Moskau zurückkehren, wird man Sie in irgendeinem unterirdischen Gemäuer erschießen. Das ist doch die übliche Belohnung, die Ihre Leute für Versa ger bereithalten? An Ihrer Stelle würde ich mit Ferguson Frieden schließen. Er wird sich um Sie kümmern, Yuri. Sie sind zu wertvoll, um Sie zu vergeuden.«
»Und Sie?« fragte er. »Was wird aus Ihnen?«
»Oh, ich werde mich jetzt von Rupert verabschieden. Sein Leichnam ist in einem Bestattungsinstitut in Westminster aufgebahrt. Die Beerdigung findet morgen statt.«
»Und was dann? Ferguson und Dillon wissen doch nun, daß sie nicht auf dem Grund der Themse liegen. Sie werden Sie bis ans Ende der Welt verfolgen. Sie können nirgends mehr hin, Grace.«
»Ich weiß, Yuri, aber es ist mir gleichgültig. Passen Sie auf sich auf.«
Grace legte den Hörer auf, verließ das Café und ging zu ihrem Wagen
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