Die Todesbraut
zurück. Dann machte sie sich auf den Weg nach London.
Yuri Belov saß an seinem Schreibtisch und wurde von den widersprüchlichsten Emotionen gepeinigt. Sie hatte recht, natürlich. Zu Hause in Moskau erwartete ihn nichts außer einer Kugel, und überdies schätzte er London mittlerweile bei weitem mehr als seine alte Heimat. Er öffnete eine Schublade und nahm eine Flasche Wodka und ein Glas heraus. Belov schenkte sich ein und leerte das Glas in einem Zug. Im selben Moment schrillte erneut das Telefon.
»Oberst Yuri Belov? Hier spricht Charles Ferguson. Finden Sie nicht, daß es an der Zeit ist, dieses verdammte Spiel endlich aufzugeben? Senator Keogh lebt und ist wohlauf. Und Grace Browning ist auf der Flucht.«
»Ja, ich weiß das alles«, antwortete Belov resigniert. »Sie hat mich eben angerufen.«
»Tatsächlich?« rief Ferguson. »Das ist aber interessant.«
»Eine außergewöhnliche Frau, aber jetzt glaube ich fast, daß sie wahnsinnig geworden ist«, fuhr Belov fort.
»Das können wir später diskutieren. Im Moment interessiert mich viel mehr, ob Sie sich, wo Sie nun in Ungnade gefallen sind, von Ihren Leuten zurück nach Moskau verfrachten lassen wollen? Keine sehr angenehme Vorstellung. Die dortige Kriminalitätsrate ist höher als die von New York, man muß stundenlang Schlange stehen, um ein Brot zu ergattern, der Winter steht vor der Tür, und überdies würde man Sie möglicherweise sogar erschießen.«
»Wie lautet Ihre Alternative?«
»Kommen Sie zu uns. Es wäre der Höhepunkt meiner Karriere beim Geheimdienst, jemanden wie Sie in die Hände zu bekommen. Wir würden Sie finanziell bestens versorgen, Ihnen eine angemessene Wohnung beschaffen und Sie mit einer neuen Identität ausstatten.«
»Klingt verlockend«, meinte Belov.
»Alles, was Sie zu tun haben, ist, Ihren Mantel zu nehmen und die Botschaft zu verlassen. Gehen Sie einfach hin aus. Sie kennen das Pub auf der gegenüberliegenden Seite der Kensington Gardens?«
»Selbstverständlich.«
»Ich bin in zwanzig Minuten dort. Ich erwarte Sie.« Belov legte auf und schenkte sich einen weiteren, großzügig bemessenen Wodka ein. Er hob das Glas zu einem Toast. »Auf unsere Ideale«, sagte er leise. »Aber schließlich muß man das Leben von der praktischen Seite her angehen.« Er trank sein Glas aus und holte seinen Mantel. Dann schaltete er das Licht aus und verließ das Büro.
Ferguson, Hannah Bernstein und Dillon saßen in einer Nische in besagtem Pub gegenüber den Kensington Gardens und hörten Yuri Belov gebannt zu. Schließlich schwieg der Russe. »Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
Ferguson nickte. »Sie sagte also, sie wolle sich von Rupert verabschieden? Nun, wir wissen, wo der sich derzeit aufhält. Er liegt in einem Sarg bei Seaton & Sons, einem Bestattungsinstitut in der Great George Street.«
»Glauben Sie wirklich, daß sie es wagt, dort aufzutauchen, Sir?« fragte Hannah.
»Sie kann sich nirgends mehr verstecken, Chief Inspector«, gab Ferguson zurück. »Ach, übrigens, rufen Sie doch bitte die Bezirkspolizei in Kent an. Sie sollen auf dem Flugplatz in Coldwater mal nach dem Rechten sehen.« Er seufzte. »Die armen Teufel, wieder einmal ein unaufgeklärter Mord in ihrem Revier.« Dann stand er auf und sah auf seine Armbanduhr. »Neunzehn Uhr dreißig an einem schaurig dunklen, verregneten Abend in London, Nebelschwaden ziehen durch die Straßen … Man müßte schon Dickens sein, um dieser Szenerie gerecht zu werden.«
»Gehen wir dorthin, wo ich glaube, daß wir hingehen?« unterbrach Dillon Fergusons lyrischen Erguß.
»Seaton & Sons, Great George Street«, nickte Ferguson. »Leichenhallen faszinierten mich schon von jeher.«
Kurz bevor sie London erreichte, parkte Grace Browning noch einmal an einer Raststätte an der Autobahn. Mit ihrem Koffer in der Hand betrat sie die Damentoilette. Sie verschwand in einer Toilette, sperrte ab und öffnete ihren Koffer. Fünf Minuten später kam sie als Nonne verkleidet wieder heraus. Sie kehrte zu ihrem Wagen zurück, legte den Koffer auf den Rücksitz und fuhr wieder auf die Autobahn. Ihr Ziel war die Londoner Innenstadt.
Kurz nach einundzwanzig Uhr dreißig erreichte sie die Great George Street in Westminster und entdeckte am Straßenrand einen freien Parkplatz. Eine Weile blieb sie sitzen und dachte nach. Dann griff sie nach ihrer Schultertasche, nahm die Kalaschnikow heraus und verstaute
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