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Die Todesspirale

Die Todesspirale

Titel: Die Todesspirale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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des Mädchens, ich glaube, auf der linken Seite, hatte sich ein Stück von einem dunkelrot lackierten Fingernagel verfangen. Es hat die gleiche Farbe wie getrocknetes Blut, deshalb haben wir es nicht sofort gemerkt. Ich habe es ins Labor geschickt», fuhr Kervinen fort. Offenbar sah er mir an, dass ich wusste, wem der Nagel gehörte.
    Ulrika Weissenberg würde mir einiges zu erklären haben.
    «Das Mädchen selbst hatte leider sehr kurze Nägel, die nicht viel hergeben», bedauerte Kervinen. «Sie scheint sich kaum verteidigt zu haben. Dabei wehrt man sich doch instinktiv, wenn jemand auf einen einschlägt.»
    Ich dachte an die Wut, die sich in den Schlägen entladen hatte, und wurde meinerseits vom Hass gepackt. Was gab dem Mörder das Recht, die Träume Nooras und so vieler anderer Menschen zu zerstören? Vor lauter Zorn stiegen mir Tränen in die Augen. Kervinen merkte es und sagte verlegen:
    «Kein schöner Anblick. Und in deinem Zustand bist du besonders empfindsam.»
    «Die Schwangerschaft ist ein guter Vorwand, endlich mal menschlich zu reagieren!», giftete ich. «Normalerweise dürfen Polizisten natürlich nicht weinen!»
    «In diesem Job kann man es sich nicht leisten, über jeden Kadaver Tränen zu vergießen.»
    «Musst du sie als Kadaver bezeichnen, um deine Arbeit ertragen zu können? Pass bloß auf, dass du innerlich nicht bald genauso tot bist wie deine Kadaver!», brüllte ich, und erst Kervinens betretene Miene machte mir klar, dass ich etwas an ihm ausließ, was ich selbst nicht ganz begriff. Es war wohl besser zu gehen.
    Ich sah Noora noch einmal an, ihre Haut, die die Farbe von rohem Weißbrotteig hatte, die Schnitte, das unversehrt ge-bliebene Auge, die Waden, auf denen schwarzer Flaum wuchs. Vorsichtig streichelte ich ihre Beine, wie zum Abschied, dann ging ich wortlos hinaus.
    Irgendwie schaffte ich es zur Dienststelle. Natürlich hatte Kervinen Recht, niemand würde es aushalten, die Hälfte seines Lebens im Leichenkeller zu verbringen, wenn er seinen Gefühlen freien Lauf ließ. Auch ich hatte im Lauf der Jahre Schutzmechanismen entwickelt, mit deren Hilfe ich die ständige Konfrontation mit Leid und Gewalt ertrug. Meist verbiss ich mich einfach in meine Arbeit, ohne nach links und rechts zu schauen. Im letzten Winter hatte ein entflohener Häftling meinen Kollegen Palo gekidnappt, und beim Befreiungsver-such waren beide ums Leben gekommen. Es hätte ebenso mich treffen können, denn Palo und ich hatten gemeinsam die Ermittlungen geführt, die den Mann ins Gefängnis gebracht hatten. Danach hatte ich lange darüber nachgedacht, ob und wie ich mit meinem Beruf zurechtkam. Mit meiner Zweitausbildung als Juristin hätte ich mir ohne weiteres einen geruhsameren Job suchen können. Doch das war nichts für mich. Der Mutterschaftsurlaub würde mir Gelegenheit zu einer Atempause bieten, doch ich war sicher, dass ich nach einigen Monaten darauf brennen würde, in den Polizeidienst zurückzukehren. Wahrscheinlich fürchtete ich mich sogar ein wenig vor dem Innehalten. In gewisser Weise war es gut, dass ich keine Erfahrung mit Babys hatte, so würde ich in eine neue Welt hineingeworfen werden, in der mir hoffentlich keine Zeit blieb, über zurückliegende Morde nachzudenken.
    Die Sonne schob sich halb zwischen den Wolken hervor, verbarg sich jedoch gleich wieder, als sei sie erschrocken über das, was sie sah. Ich rief in der Asservatenkammer an. Nooras Tasche und ihre Kleidung waren aus dem Labor gekommen, ebenso Jannes Auto. Ich ging hinunter, um mir die Tasche und die Schlittschuhe anzusehen, auf denen fünf verschiedene Fingerabdrücke sichergestellt worden waren. Jannes Auto musste zurückgebracht werden, ich überlegte, ob ich das selbst übernehmen sollte.
    An der Tür zur Asservatenkammer kam mir Pertsa Ström entgegen. Sein pockennarbiges Gesicht war noch röter als sonst, vermutlich hatte er am gestrigen Abend zu tief ins Glas geschaut. Meines Wissens war Alkohol bei ihm kein Problem, etwa einmal im Monat betrank er sich gründlich, aber an-sonsten blieb es bei einem gelegentlichen Bierchen. War am Wochenende etwas passiert, wovon ich noch nichts wusste?
    Auf meine Frage stöhnte er ausgiebig, bevor er sagte:
    «Der Pädophile hat wieder zugeschlagen, diesmal in Kai-taa. Er hat versucht, sein Opfer zum Oralsex zu zwingen, ist aber von einem zufälligen Passanten gestört worden und dann entkommen, wieder mal. Die Boulevardzeitung bringt eine Riesenschlagzeile über die Unfähigkeit der

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