Die Todesspirale
syn-thetisches Erzeugnis geradezu angenehm. Kervinen speku-lierte gern über Tathergänge, auch wenn seine offiziellen Berichte äußerst knapp und sachlich waren. Ich hatte ihn einmal in einer Verhandlung erlebt, wo er lang und breit er-klärte, wieso die Kratzer am Rücken und die Druckstellen an den Knöcheln bewiesen, dass das Opfer bewusstlos durch den Wald geschleift worden war. Nachdem er eine Viertelstunde lang geredet hatte, war der Richter nervös geworden, aber letzten Endes war das Urteil vor allem aufgrund von Kervinens Gutachten gefällt worden.
«Noora Nieminen ist hier drin. Ich habe noch nie von einem Fall gehört, wo jemand mit Schlittschuhen erschlagen wurde. Allerdings sind die Kanten ja ziemlich scharf. Wurde nicht einem Eishockeyspieler von einem Schlittschuh die Schlagader aufgerissen? Ein idiotischer Sport, dieses Eishockey, ich sehe mir lieber Golf an.»
«In diesem Fall handelt es sich um Kunstlaufschlittschu-he.»
«Genau, die haben auch noch Zacken. Das sieht erst schön aus, schau mal.»
Nooras Leiche lag unbekleidet auf dem Stahltisch. Sie war übersät von Quetschwunden und Schnitten, die sowohl von den Kufen als auch vom Skalpell des Rechtsmediziners stammten. Unter anderem hatte ein Hieb mit dem Schlittschuh das linke Auge getroffen, sodass sich der Augapfel teil-weise gelöst hatte. Auch am Hals und an den Handgelenken hatte sie tiefe Schnitte. Brüste und Oberschenkel waren durch die Kleidung geschützt gewesen, doch offenbar unzu-reichend, denn an den Brüsten konnte ich ebenfalls Schnittwunden erkennen. Noora sah sehr jung und zerbrechlich aus, wie sie da auf dem Seziertisch lag, man hatte fast das Be-dürfnis, sie zuzudecken, damit sie nicht fror.
«Die Schnittwunden haben stark geblutet, hätten aber allein nicht zum Tod geführt. Tödlich war der Schlag auf den Hinterkopf. Ich würde annehmen, dass sie zuerst mit den Schlittschuhen auf den Kopf geschlagen und dann auf einen harten Gegenstand geschleudert wurde, wahrscheinlich auf einen Stein, was zum Schädelbruch führte.»
«War sie da noch bei Bewusstsein?»
«Wahrscheinlich, falls der Schlag auf Auge und Schläfe sie nicht vorübergehend bewusstlos gemacht hat.»
«Erlauben die Schläge Rückschlüsse auf den Täter?»
«Er war größer als das Mädchen, aber das will nicht viel heißen, sie war ja nur einsvierundfünfzig. Ziemlich stark, die Kleine, für eine Sechzehnjährige hatte sie bemerkenswert gut entwickelte Muskeln. War sie Spitzensportlerin? Im Eiskunstlauf kenne ich mich nicht aus, ich interessiere mich nur für Golf und Fußball … Eiskunstläuferinnen müssen auf ihr Gewicht achten, nicht wahr? Das würde die Fenterminrück-stände im Urin erklären, Übergewicht hatte sie ja nicht.»
«Was ist Fentermin?»
«Ein Appetitzügler, Bestandteil von Schlankheitspillen wie Mirapront. Eng verwandt mit Amphetamin. Der Fentermin-gehalt im Urin lässt darauf schließen, dass sie es spätestens vierundzwanzig Stunden vor ihrem Tod eingenommen hat.»
«Steht das Mittel auf der Dopingliste?»
«Da muss ich nachsehen. Warte mal.» Kervinen nahm einen dicken Wälzer aus dem Regal und blätterte darin. «Ja.»
Ich betrachtete Noora, ihre im Tod erschlafften Muskeln, ihren Bauch, der zwar nicht flach wie ein Brett, aber auch nicht dick war, die runden, festen Brüste, die bei einem weniger sportlichen Mädchen wahrscheinlich schwer herabge-hangen hätten, denen das harte Training jedoch alles überschüssige Fett entzogen hatte. Es war doch wohl undenkbar, dass ein Arzt einer normalgewichtigen Sechzehnjährigen ein Mittel zur Gewichtsabnahme verschrieb? Und warum hatte Noora ihre Karriere mit Doping aufs Spiel gesetzt? Oder hatte sie nicht gewusst, was sie einnahm? Hatten ihr die Trainer Fentermin gegeben?
«Sonst was Auffälliges?»
«Eigentlich nicht. Sie war nicht mehr Jungfrau, aber die Sechzehnjährigen heutzutage …» Kervinen errötete, es war mir früher bereits aufgefallen, dass alles, was mit Sexualität zu tun hatte, ihm irgendwie fremd war. Ziemlich komisch, bei seinem Beruf.
«Dass keine Anzeichen für sexuelle Gewalt vorliegen, weißt du ja schon. Der einzige klare Hinweis auf den Täter ist der abgebrochene Fingernagel in den Haaren, und der stammt von einer Frau.»
Mein Mund war plötzlich trocken, es dauerte eine Weile, bis ich die Sprache wieder fand.
«Fingernagel? Was sagst du da? Davon weiß ich gar nichts.»
«Steht im Bericht. Ach ja, den hast du noch nicht gelesen.
In den Haaren
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