Die Todesspirale
Polizei.»
«Der Kerl wird ja immer aktiver. Irgendeine Personenbe-schreibung?»
«Unser Zeichner macht sich heute Nachmittag mit dem Passanten ans Werk. Das Mädchen ist so geschockt, es erinnert sich an nichts. Einmal hat der Scheißkerl einen Handschuh verloren, den hab ich mir gerade nochmal angeguckt, aber er bringt uns nicht weiter.»
Pertsa war genervt, man sah es ihm an. Er war wie besessen von dem Fall, vielleicht bildete er sich ein, die Aufklärung würde ihm die Beförderung zum Dezernatsleiter garantieren.
Ich spielte die Edelmütige und sagte:
«Wenn wir ein gutes Bild bekommen, können wir es an die Lokalpresse geben, vielleicht sogar ans Fernsehen. Der Kerl ist in letzter Zeit ziemlich eifrig, womöglich wird er übermü
tig. Derselbe MO wie bisher?»
Der Täter sprach die kleinen Mädchen stets mit der Frage an, ob sie seinen entlaufenen Hund gesehen hätten. Er beschrieb das Tier ausführlich, zeigte manchmal auch ein Foto von einem niedlichen Collie. Sobald er das Interesse des Mädchens für den Hund geweckt hatte, verging er sich an ihr.
«Wir haben die Kleine noch nicht befragen können. Koivu wird das übernehmen, er kann Sinikka dazuholen, wenn eine Frau gebraucht wird. Eine Fürsorgetante muss auch wieder dabei sein. Ich ertrag diese flennenden Mädchen nicht mehr», stieß Pertsa hervor. Er hatte eine zehnjährige Tochter, Jenna, die bei ihrer Mutter lebte, denn die Ströms waren seit einigen Jahren geschieden. Bei der Befragung der Opfer dachte er bestimmt an seine Tochter, davon war ich überzeugt. Das sagte ich jedoch nicht. Er würde es ohnehin abstreiten, denn seiner Meinung nach konnten Polizisten sich keine Gefühle leisten, und wenn sich das Herz doch einmal regte, sprach man besser nicht darüber.
Ich war froh, als Pertsa verschwand und mir nicht auf die Finger schaute. Obwohl er ständig klagte, er hätte zu viel um die Ohren, schien er immer Zeit zu haben, sich in meine Fäl-le einzumischen oder einfach in meinem Büro zu erscheinen und mich anzupflaumen, oft unter dem Vorwand, er wolle sich nach dem Befinden der werdenden Mutter erkundigen.
Meist wurde ich ihn los, indem ich über die Mühen der Schwangerschaft klagte und behauptete, alle zehn Minuten aufs Klo zu müssen.
«Kann ich die Sachen mit nach oben nehmen?», fragte ich den Polizeimeister, der die Asservatenkammer beaufsichtigte, aber so in seine Totozeitung vertieft war, dass er mein Eintreten kaum wahrgenommen hatte. Da er keinen Einspruch erhob, nahm ich den Kleidersack und den großen Beutel, in dem sich Nooras Tasche samt Inhalt befand, und verzog mich in mein Büro. Um mich ungestört mit Nooras Sachen befassen zu können, stellte ich die Türampel auf Rot. Dann schnitt ich dem herzerwärmend von der Wand lächelnden Hugh Grant eine Grimasse und sah mir als Erstes die Kleidung an.
Grau melierte Baumwollunterwäsche. Die Unterhose war unversehrt, aber verschmutzt, der BH zerrissen und blutig.
Offenbar war der Hieb zwischen die Brüste mit enormer Wucht geführt worden. Noora hatte einen lila Baumwollpull-over und einen orangefarbenen Anorak getragen, beide waren zerfetzt. Allerdings fand ich es eigenartig, dass sich an der Rückseite der Ärmel oberhalb des Ellbogens keine Schnitte fanden. Gerade dort hätten die Schläge sie treffen müssen, wenn sie schützend die Arme gehoben hatte.
Der Anorak war von der Sorte, wie sie heutzutage jede Dritte trägt. Ich besaß die gleiche Windjacke in Olivgrün, hatte sie jedoch vorübergehend ausgemustert, weil sie sich nur mühsam über meinen Bauch ziehen ließ. Nooras Jacke hatte Erdflecken am Rücken und war steif von getrocknetem Blut.
Auch an den verblichenen lila Jeans und in den Plateaustie-feln war Blut gefunden worden. Nooras Kleidung war das normale Outfit einer Sechzehnjährigen. Um den Hals hatte sie eine Silberkette mit Kreuzanhänger getragen.
Der Inhalt der Sporttasche roch nach Blut und getrocknetem Schweiß. Ich las den Bericht des Beamten, der die Tasche untersucht hatte. Die blutigen Schlittschuhe hatten obenauf gelegen, darunter ein feuchtes Handtuch, das ebenfalls Blut-flecken aufwies sowie Haare von Noora, als hätte der Mörder versucht, ihr das Blut abzuwischen.
Außerdem befand sich in der Tasche Nooras Trainingsklei-dung: Sweatshirt, warme Leggings, dünne Baumwollsocken und Sportunterwäsche, alles sauber gefaltet, bereit für die Waschmaschine. Der Schminkbeutel enthielt Duschgel und Feuchtigkeitscreme, beides Naturkosmetik, die
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