Die Toechter der Familie Faraday
bestens.«
»Mir nicht.«
Alle wandten sich zu Miranda. Der selbstbewussten, theatralischen Miranda.
»Wirklich nicht. Dad, du bist nicht der Einzige, der sie vermisst. Ich wünsche mir jeden Tag, dass sie hier wäre, dass ich mit ihr sprechen könnte. Ihre Nähe spüren könnte.«
Leo fuhr sich durchs Haar. »Das weiß ich doch. Aber ihre Sachen anzuschauen, ihre Tagebücher zu lesen … davon wird sie auch nicht wieder lebendig.«
»Warum hast du dann alles aufgehoben?«
»Ich habe es nicht aufgehoben.«
»Dein Kleiderschrank ist doch voll. Wir haben alle ihre Sachen gesehen«, sagte Juliet.
»Ihre Kleider sind noch da. Aber die Tagebücher gibt es nicht mehr.« Er zögerte. »Ich habe sie verbrannt. Sie hat immer gesagt, dass sie großen Ärger bekäme, wenn jemand sie lesen würde. Ich musste ihr versprechen, sie zu vernichten, falls sie … falls jemals etwas passieren würde. Ich habe mein Versprechen gehalten. Ich musste. Das waren ihre intimsten Gedanken. Vielleicht war es falsch, aber es ist nun einmal geschehen. Ich habe sie alle verbrannt.«
Juliet sah zu Clementine. Sie biss sich auf die Lippen.
»Wann, Dad?«, fragte Eliza.
»Einen Monat nach ihrem Tod.«
»Hast du denn gar nicht an uns gedacht?« Clementine brach die Stimme. »Daran gedacht, dass wir sie eines Tages lesen wollen?« Juliet nahm ihre Hand.
»Ich habe zu der Zeit überhaupt nicht denken können. Es tut mir leid.« Er sah elend aus. »Mir hätte klar sein müssen, dass ihr sie eines Tages lesen wollt. Das war es in dem Moment aber nicht. Alles andere ist noch da, das schwöre ich.« Er schwieg einen Moment. »Ich habe immer geglaubt, dadurch würde es leichter. Die Vorstellung, meinen Schrank zu öffnen und ein Hemd herauszunehmen und ihre Hälfte wäre leer, war mir unerträglich. Es hätte …« Er brach ab. »Ich finde es schön, dass ihre Sachen da sind. Das erinnert mich jeden Tag an sie.«
»Wir hätten auch gerne etwas zur Erinnerung«, sagte Eliza.
»Bitte, Dad.« Clementines Stimme war sanft.
Leo stand auf. »Ich muss darüber nachdenken.«
Am nächsten Morgen wartete Leo, bis alle mit ihrem speziellen Sonntagsfrühstück aus Schinken und Eiern fertig waren. Die Zeitung hatte am Tisch schon die Runde gemacht. Clementine hatte gerade Maggie gestillt. Es herrschte eine innige, entspannte Atmosphäre. Niemand hatte bisher ein Wort über das Gespräch vom Vortag verloren.
»Wenn ihr wollt, können wir heute anfangen.«
Fünf Köpfe schossen hoch.
»Ich habe gestern Abend lange darüber nachgedacht«, sagte er. »Im Geiste eure Mutter um Rat gefragt. Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass sie es albern gefunden hätte, alles so lange aufzubewahren.«
»Da hätte sie recht« sagte Miranda.
Er stand auf. »Von mir aus kann’s losgehen.«
Sie verwandelten es in ein Vergnügen. Eine Modenschau. Auch die eine oder andere Träne floss, aber geärgert wurde niemand, nicht einmal von Miranda.
Links im Schrank hingen Kleider, Mäntel und Röcke. Blusen, Jeans und Schals lagen in den Schubladen. Ihre Schuhe steckten, geputzt, in Beuteln, viele mit Schuhlöffeln. Es gab zwei Schmuckschatullen, eine mit Ringen, die andere mit Colliers und Ohrringen. »Alles Modeschmuck«, verkündete Miranda mit fachmännischer Autorität.
Leo ließ sie allein. Das machte es einfacher. Juliet übernahm das Kommando, hielt alle Stücke einzeln hoch, während die anderen dazu Kommentare abgaben oder darum baten, etwas anprobieren zu dürfen. Es war ein Segen, dass keine von ihnen in die Kleider ihrer Mutter passte. Ihre Kleidergröße war mindestens zwei Nummern kleiner als Sadies, und sie war auch etliche Zentimeter kleiner als Juliet und Miranda gewesen. Es war auch ein Segen, dass ihre Geschmäcker so verschieden waren. Alles, was sie nicht selbst tragen konnten, sollte gespendet werden.
Sie teilten Schals, Ringe und Ketten untereinander auf. Die Schuhe – die ihnen allen zu klein waren – wanderten in den Beutel für den guten Zweck, bis auf jeweils ein Paar, das sie sich alle zum Andenken aufbewahren wollten. Clementine wählte auch ein Paar für Maggie.
In der letzten Schublade wartete eine Überraschung. Eine Schachtel, eingeschlagen in silbernes und rosafarbenes Papier, mit einem Schleifchen.
Juliet rief ihren Vater. Leo nahm die Schachtel unbeholfen in die eine Hand und dann in die andere. »Das war für sie. Für eure Mutter. Ich habe das in der Woche vor ihrem Tod gekauft. Es sollte ein Geschenk zu ihrer Heimkehr sein. Ich
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