Die Toechter der Kaelte
ganze Familie ins Unglück. Schon seit sie in die Baracke gezogen waren, hatte sie ihm zugesetzt, sie sollten sich statt dessen irgendwo im Ort einmieten, und Anders hatte beschlossen, alles, was in seiner Macht stand, zu tun, um diesem Wunsch nachzukommen. Könnte sie das nur ein wenig freundlicher stimmen, wären seine Überstunden die Sache mehr als wert. Jede zusätzliche Ore legte er beiseite. Jetzt, wo er das Haushaltsgeld übernommen hatte, war es ihm möglich zu sparen, selbst wenn das bedeutete, daß die Kost ziemlich einförmig ausfiel. Seine Mutter hatte ihn nur weniges kochen gelehrt, und er kaufte obendrein immer die billigsten Nahrungsmittel, die erfinden konnte. Agnes hatte indes, wenn auch nur unwillig, einen Teil der Hausarbeiten übernommen, und nach ein paar Versuchen am Herd ließen sich die von ihr bereiteten Gerichte sogar fast essen, also hatte er eine gewisse Hoffnung, in nächster Zukunft die Verantwortung für die warme Mahlzeit abgeben zu können.
Wenn sie erst in den Ort selbst gezogen waren, wo etwas mehr Leben und Treiben herrschte, würde sich vielleicht alles bessern.
Eventuell käme sogar wieder ein eheliches Zusammenleben zustande, etwas, das sie ihm seit über einem Jahr verweigert hatte.
Vor ihm teilte sich der Stein perfekt in der Mitte. Er betrachtete das als gutes Omen.
Punkt zehn Minuten nach zehn rollte der Zug herein. Mellberg war schon vor einer halben Stunde gekommen. Mehrere Male war er drauf und dran gewesen, das Auto zu wenden und wieder heimzufahren. Aber das hätte nichts genützt. Der Ankömmling würde sich einfach zu ihm durchfragen, und schon käme das Gerede in Gang. Es war am besten, sich dieser unangenehmen Situation sofort zu stellen. Gleichzeitig konnte er die Tatsache nicht ignorieren, daß ihn von Zeit zu Zeit so etwas wie Eifer durchzuckte. Zunächst hatte er das Gefühl überhaupt nicht identifizieren können. Es war so ungewöhnlich für ihn, bei irgend etwas voller Erwartung zu sein, also hatte er lange Zeit gebraucht, um dahinterzukommen, was da in ihm brodelte. Als er es schließlich begriff, erstaunte es ihn sehr.
Immer wieder wechselte er die Stellung, und zum ersten Mal in seinem Leben verspürte er den Wunsch zu rauchen, um die Nerven zu beruhigen. Bevor er von daheim losgefahren war, hatte er einen sehnsüchtigen Blick auf die Flasche Absolut Vodka geworfen, die er zu Hause stehen hatte, aber es war ihm geglückt, sich die Sache zu verkneifen. Er wollte nicht nach Alkohol riechen, wenn er ihn das erste Mal traf. Der erste Eindruck war wichtig.
Dann meldete sich dieser Gedanke erneut und ließ ihn einfach nicht los. Wenn es nun nicht stimmte, was sie da sagte. Es war verwirrend, nicht zu wissen, was er eigentlich erhoffte: daß es stimmte oder daß es nicht stimmte. Er hatte seine Meinung zu beidem bereits unzählige Male gewechselt, aber im jetzigen Augenblick tendierte er mehr zu der Hoffnung, daß der Brief der Wahrheit entsprach. So merkwürdig ihm das auch vorkommen mochte.
Ein Tuten in der Ferne verkündete, daß der Zug aus Göteborg Einfahrt hatte. Mellberg fuhr zusammen, wodurch sein Haar, das er auf dem Kopf drapiert hatte, über das eine Ohr herabfiel. Mit geübtem Griff warf er es flink wieder an Ort und Stelle und versicherte sich, daß es wie gewohnt saß. Er wollte sich nicht gleich am Anfang blamieren.
Der Zug rauschte mit solcher Geschwindigkeit auf den Bahnsteig zu, daß er einen Augenblick glaubte, er wollte nicht halten und ins Unbekannte weiterbrausen, während er hier voller Spannung und Unsicherheit zurückblieb. Aber am Ende verlangsamte der Zug die Fahrt und hielt schließlich quietschend und kreischend an. Sein Blick fuhr über alle Türen. Plötzlich fiel ihm ein, daß er nicht mal wußte, ob er ihn erkennen würde. Hätte sie ihm nicht eine Nelke oder so etwas ins Knopfloch stecken sollen? Dann begriff er, daß er als einziger auf dem Bahnsteig wartete, also der da kam, dürfte zumindest verstehen, wer er war.
Die hinterste Tür ging auf, und Mellberg spürte, daß sein Herz eine Sekunde zu schlagen aufhörte. Eine Dame im Rentenalter stieg vorsichtig die Stufen hinunter, und die Enttäuschung brachte sein Herz wieder in Gang. Aber dann kam er. Und im selben Augenblick, als Mellberg ihn erblickte, waren alle Zweifel ausgeräumt. Eine sonderbar stille, schmerzliche Freude erfüllte ihn.
Die Wochenenden vergingen so rasch. Erica genoß es, Patrik daheim zu haben. Die Wochentage dazwischen waren lang, und
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