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Die Toechter der Kaelte

Die Toechter der Kaelte

Titel: Die Toechter der Kaelte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Läckberg
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dem Holz aufschlug, doch niemand reagierte, also war das Geräusch wohl nur in ihrem Kopf zu hören.
    Ihr kam es wie eine Ewigkeit vor, daß sie dort stand, bevor sie eine leichte Berührung am Ellenbogen verspürte. Per-Eriks Ehefrau lächelte sie freundlich an und zeigte ihr mit einem Nicken, daß es Zeit war zu geben. Vor ihnen bewegte sich die übrige Trauergemeinde, an der Spitze Agnes und Per-Erik. Er hatte seinen Arm um Mutters Schulter gelegt, und sie lehnte sich an ihn.
    Mary schielte zu der Frau neben ihr und fragte sich höhnisch, wie sie nur so dumm und naiv sein konnte, daß sie diese sexuelle Spannung nicht sah, die das Paar vor ihnen umgab. Sie war erst dreizehn, aber das spürte sie genauso deutlich wie den Regen, der auf sie herabfiel. Nun ja, diese törichte Frau würde bald gewahr werden, wie die Wirklichkeit aussah.
    Manchmal fühlte sie sich so viel älter als dreizehn. Sie schaute auf die Einfalt der Menschen mit einer Verachtung, die weit über die eines normalen Jugendlichen hinausging, aber schließlich hatte sie auch eine vorzügliche Lehrmeisterin gehabt. Mutter hatte ihr alles, was sie konnte, darüber beigebracht, daß jeder einzelne nichts anderes als seine eigenen Interessen im Auge hatte und man selbst gezwungen war, sich all das zu beschaffen, was man im Leben haben wollte. Nichts durfte einem im Weg stehen, hatte Mutter gepredigt, und Mary hatte genau zugehört. Jetzt fühlte sie sich weise, erfahren und imstande, den Respekt, den sie verdiente, von Mutter zu erhalten. Sie hatte ja trotz allem bewiesen, wie weit ihre Liebe ging. Hatte sie ihr nicht das Äußerste geopfert? Jetzt würde sie diese Liebe doppelt zurückerhalten, das wußte sie. Nie mehr müßte sie unten im dunklen Keller sitzen und das Monster wachsen sehen.
    Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie Per-Eriks Frau sie mit besorgter Miene betrachtete. Sie entdeckte, daß auf ihren Lippen ein breites Lächeln lag, und zwang sich rasch, wieder ernst zu werden. Es war wichtig, den Schein zu wahren. Das sagte Mutter ständig. Und Mutter hatte immer recht.
     
    Das Heulen der Sirenen war im weiten Umkreis zu hören. Er wollte sich aufsetzen und protestieren, daß der Krankenwagen kehrtmachte und ihn wieder nach Hause brachte. Aber die Glieder verweigerten ihm den Dienst, und als er zu sprechen versuchte, kam nur ein Krächzen über seine Lippen. Lilians sorgenvolles Gesicht schwebte über ihm. »Sschhh, nicht reden. Spar deine Kräfte. Wir sind gleich in Uddevalla.« Widerstrebend gab er den Versuch auf, die Sache zu ändern. Er hatte keine Kraft dazu. Der Schmerz war noch immer da. Und jetzt war er stärker als je zuvor.
    Es war so schnell gegangen. Am Morgen hatte er sich recht munter gefühlt und sogar etwas essen können. Aber dann spürte er, daß sich der Schmerz immer mehr ausbreitete, und schließlich war er unerträglich geworden. Als Lilian mit dem Vormittagstee heraufkam, hatte er nicht mehr reden können, und ihr war vor Schreck das Tablett zu Boden gefallen. Dann war der Zirkus losgegangen. Sirenengeheul vor dem Haus, Getrappel auf der Treppe, Hände, die ihn behutsam auf eine Trage hievten und in den Krankenwagen verluden. Die Fahrt bei hoher Geschwindigkeit, deren er sich nur undeutlich bewußt war.
    Die Angst davor, im Krankenhaus zu landen, war sogar schlimmer als der Schmerz. Wieder und wieder sah er das Bild des Vaters vor sich, wie er so klein und elend in seinem Krankenhausbett lag und so ganz anders war als der dröhnend lachende, fröhliche Mann, der ihn als Kind immer hoch in die Luft hob und, als er älter war, sich liebevoll mit ihm boxte. Jetzt wußte Stig, daß er sterben würde. Landete er erst im Krankenhaus, war es nur eine Frage der Zeit.
    Er wollte so gern den Arm heben und Lilian über die Wange streichen. So wenig Zeit war ihnen zusammen vergönnt gewesen. Sicher hatten sie ihre Auseinandersetzungen gehabt und sogar ein gehöriges Tief, als er sogar geglaubt hatte, sie sollten getrennter Wege gehen, doch hatten sie wieder zueinandergefunden. Nun mußte sie jemand anders finden, mit dem sie alt werden konnte.
    Er würde auch Charlotte und die Kinder vermissen. Das Kind, berichtigte er sich und fühlte einen Stich im Herzen, eine ganz andere Art Schmerz als den körperlichen. Das war übrigens das einzig Positive, dem er entgegensah. Er glaubte voll und ganz, daß es ein Leben nach dem Tod gab, einen besseren Ort, und vielleicht durfte er das Mädel dort treffen und würde erfahren, was an

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