Die Toechter der Kaelte
geglaubt, es würde nach der Schule besser werden. Wenn er in die richtige Welt hinauskam. Er hatte den Polizeiberuf gewählt, um eine Chance zu haben, sich als der Kraftmensch, der er nun einmal war, zu beweisen, aber nach fünfundzwanzig Jahren im Beruf mußte er zugeben, daß die Dinge nicht ganz wie erwartet gelaufen waren. Bisher hatte er allerdings noch nie so tief in der Scheiße gesessen wie jetzt. Er hatte sich einfach nicht vorstellen können, daß Kaj etwas mit der Sache zu tun hatte. Sie spielten schließlich zusammen Karten, Kaj war ein toller Kumpel und außerdem einer der wenigen, die tatsächlich mit ihm Umgang haben wollten. Und wie oft hatte man schließlich gehört, daß solch grundlose Vorwürfe das Leben von Männern, die ohne Schuld waren, zerstörten. Als Ernst also eine Möglichkeit sah, einem Kumpel einen Dienst zu erweisen, da hatte er das selbstverständlich getan. Das war doch wohl kein Grund, ihn zu tadeln. Er hatte die besten Absichten gehabt, als er diesen Anruf aus Göteborg nicht weiterleitete, doch das schien keiner zu verstehen. Und jetzt war ihm das alles um die Ohren geflogen. Daß er ständig so ein verdammtes Pech haben mußte! Er war sich auch im klaren, daß man ihm den gestrigen Selbstmord des Jungen noch zusätzlich zur Last legen würde.
Aber als er jetzt dort in seinem Zimmer saß, zur Einsamkeit verdammt wie ein Gefangener in Sibirien, kam ihm ein Geistesblitz. Jetzt wußte er genau, wie er die Situation zu seinem Besten ändern würde. Er beabsichtigte, der Held des Tages zu werden und diesem Rotzjungen Hedström ein für allemal zu zeigen, wer von ihnen beiden der erfahrenere Polizist war. Er hatte sehr wohl gesehen, wie der auf der Besprechung die Augen verdrehte, als Mellberg darauf hinwies, man solle diesen Dorftrottel etwas genauer unter die Lupe nehmen. Wollte Hedström nicht die vierspurige Autobahn zur Lösung des Mordes nutzen, dann würde Ernst sich opfern und auf die Uberholspur biegen. Es war schließlich für jeden offensichtlich, daß dieser Morgan der Schuldige war, und daß man die Jacke des Mädchens bei ihm gefunden hatte, ließ schließlich keinen Zweifel mehr zu.
Am meisten gefiel ihm die geniale Einfachheit seines Plans. Er würde Morgan zur Vernehmung holen, ihn in Null Komma nichts zum Geständnis bringen und damit den Mörder gefaßt haben. Zugleich konnte er Mellberg damit zeigen, daß er, Ernst, tatsächlich zuhörte, wenn ein Vorgesetzter etwas sagte, während dieser Hedström nicht einfach nur inkompetent war, sondern auch noch die Meinung seines Chefs in Frage stellte. Danach würde man ihn sicher wieder in Gnaden aufnehmen.
Er stand auf und ging mit ungewöhnlich energischen Schritten zur Tür. Jetzt würde er zeigen, was hochwertige Polizeiarbeit war. Auf dem Flur schaute er sich sorgsam um, damit ihn niemand verschwinden sah. Aber der Weg war frei.
Göteborg 1957
Mary fühlte nichts, als sie da im strömenden Regen stand. Weder Haß noch Freude. Nur Kälte erfüllte ihren Körper.
Neben ihr schluchzte die Mutter. Sie sah noch schöner aus als gewöhnlich. Die schwarze Trauerkleidung stand ihr. Das Dramatische ihrer Schönheit entging keinem. Mit zitternder Hand ließ sie eine einsame rote Rose auf den Sarg ihres Gatten fallen und warf sich dann schluchzend Per-Erik in die Arme. Dicht dahinter stand dessen Ehefrau, Mitleid in ihrem Allerweltsgesicht, da sie absolut unwissend war, wie oft ihr Gatte jene Frau beschlafen hatte, die jetzt mit ihren Tränen sein Mantelrevers näßte.
Mit schmerzendem Herzen schaute Mary auf den Rücken ihrer Mutter und sehnte sich heftig danach, daß die Mutter statt dessen in ihren Armen Trost suchte. Wieder einmal war sie verschmäht worden. Wieder einmal zurückgewiesen. Der Zweifel packte sie mit voller Kraft, doch sie zwang sich, ihn zu vertreiben. Sie konnte jetzt nicht alles in Frage stellen, dann würde sie zugrunde gehen.
Der Regen auf ihren Wangen war kalt, und ihr Gesicht zeigte keine Regung. Mit steifen Beinen ging sie die wenigen Schritte bis zur Öffnung im Boden und mühte sich, die Rose hochzuhalten, die ihre Hand umklammert hielt. Das Monster in ihr bewegte sich leicht, trieb sie an, brachte sie dazu, stumm den Arm zu heben und die Rose über den schwarzglänzenden Sarg zu halten. Dann sah sie wie in Zeitlupe, daß die Finger den Griff um den stachligen Stiel lösten und die Blume unerträglich langsam auf die harte Fläche niederfiel. Ihr schien, es hallte laut, als die Rose auf
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