Die Toechter der Kaelte
schreiben. Er machte weiter: »Verstehst du, wir wissen, daß du das kleine Mädchen umgebracht hast. Wir haben ihre Jacke in deinem Haus gefunden, und wir haben eine Menge anderer technischer Dinge, die beweisen, daß du sie ermordet hast.« Letztere Behauptung war zwar reine Lüge, aber das wußte Morgan schließlich nicht. Und in diesem Spiel gab es keine Regeln.
»Aber ich habe sie nicht umgebracht. Auch wenn ich es manchmal wollte«, fügte Morgan tonlos hinzu.
Ernst fühlte ein freudiges Zucken in der Brust. Himmel, das hier ging ja besser, als er je erwartet hatte.
»Es hat keinen Zweck, daß du diese Nummer abziehst, wir haben die technischen Beweise und sind auch im Besitz der Jacke, mehr brauchen wir irgendwie nicht. Aber natürlich wäre es besser für dich, wenn du erzählst, wie es sich abgespielt hat. Dann mußt du vielleicht nicht lebenslang im Gefängnis sitzen. Und dort darfst du auch deine verdammten Computer nicht haben.«
Jetzt sah er zum ersten Mal ein echtes Gefühl bei dem Idioten. Gut, allmählich schien ihn Panik zu ergreifen. Dann war er wohl bald mürbe. Aber um ihn noch weicher zu klopfen, würde er einen kleinen Trick anwenden, den er aus »New York Cops« und anderen amerikanischen Polizeiserien kannte, die er treu verfolgte. Er würde ihn hier ein paar Minuten alleine schwitzen lassen. Konnte der Bursche seine Situation erst eine Weile überdenken, würde er ganz sicher schneller gestehen, als Ernst »Andy Sipowicz« sagen konnte.
»Ich muß nur mal pinkeln. Wir führen dieses Gespräch gleich weiter.« Er drehte Morgan den Rücken zu und ging zur Tür.
Morgan plapperte jetzt ununterbrochen in bittendem Tonfall. »Ich habe es nicht getan. Ich kann nicht den Rest meines Lebens im Gefängnis sitzen. Ich habe sie nicht umgebracht. Ich weiß nicht, wie die Jacke bei mir gelandet ist. Sie hatte sie an, als sie zu sich reinging. Bitte, laß mich hier nicht allein. Hol Mama, ich will mit Mama reden. Mama kann das hier in Ordnung bringen, bitte …«
Ernst Schloß schnell die Tür hinter sich, damit das Gebrabbel nicht auf den Flur hinaus zu hören war. Ein paar Schritte weiter bekam ihn Annika zu Gesicht und warf ihm einen mißtrauischen Blick zu.
»Was hast du da hinten gemacht?«
»Ich hab nur was nachgesehen. Dachte, ich hätte mein Portemonnaie in einem der Vernehmungszimmer gelassen.«
Sie schien ihm nicht ganz zu glauben, ließ es aber dabei bewenden. Eine Sekunde später sah sie aus dem Fenster und stieß hervor: »Also, was in aller Welt…?«
»Was ist?« fragte Ernst mit plötzlicher Unruhe im Bauch.
»Ein Mann ist gerade aus einem der Fenster geklettert und rennt jetzt zur Straße.«
»Verdammt!« Ernst brach sich fast die Schulter, als er sich gegen die erste Tür warf und in der Eile vergaß, daß sie immer abgeschlossen war.
»Scheiße, mach die Tür auf!« schrie er Annika zu, und sie gehorchte erschrocken. Er stieß die zweite Tür auf und rannte hinter Morgan her. Er sah, daß Morgan einen Blick zurückwarf und das Tempo erhöhte. Mit Entsetzen bemerkte Ernst, daß sich ein schwarzer Minibus mit einer Geschwindigkeit näherte, die entschieden über der erlaubten lag.
»Neeeiiin«, schrie er voller Panik.
Dann kam der Aufprall, und alles wurde still.
Martin fragte sich, worüber Charlotte und Niclas so dringend mit Patrik sprechen mußten. Er hoffte, daß es etwas war, wodurch sie Niclas von der Liste der Verdächtigen streichen konnten. Der Gedanke, der Vater des Mädchens könnte es sein, der ihr etwas angetan hatte, war zu schrecklich.
Es fiel ihm schwer, Niclas einzuschätzen. Albins Patientenakten waren wirklich belastend, und Niclas hatte ihn nicht überzeugen können, daß er für die Verletzungen des Kindes nicht verantwortlich war. Trotzdem stimmte etwas nicht. Niclas war, gelinde gesagt, eine komplexe Persönlichkeit. Wenn man ihm gegenübersaß, machte er einen sicheren und soliden Eindruck, aber sein Privatleben schien völlig verkorkst zu sein. Auch wenn Martin selbst in seinem fröhlichen Singledasein kein Engel gewesen war, so konnte er jetzt, da er mit seiner Freundin zusammenwohnte, nicht verstehen, wie man seine bessere Hälfte auf diese Weise betrügen konnte. Was sagte Niclas zu Charlotte, wenn er nach einem Treffen mit Jeanette nach Hause kam? Wie schaffte er es, ungezwungen zu klingen, wie konnte er ihr in die Augen sehen, wenn er sich noch ein paar Stunden zuvor mit seiner Geliebten im Bett gewälzt hatte? Martin verstand das einfach
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