Die Toechter der Kaelte
keine von ihnen hatte viel Ruhe gefunden. Da Charlotte keine Sachen von zu Hause mitgenommen hatte, mußte sie in ihren Kleidern schlafen und fühlte sich unglaublich verschwitzt, als sie sich im Bett aufsetzte und vorsichtig streckte.
»Hast du einen Kamm dabei?« fragte sie ihre Mutter, die sich auch aufgerichtet hatte.
»Ich glaube schon«, meinte Lilian und wühlte in ihrer geräumigen Handtasche. Irgendwo in den Tiefen fand sie einen Kamm und reichte ihn Charlotte.
Im Badezimmer stellte sich Charlotte vor den Spiegel und musterte sich kritisch. Das Licht war grell und unbarmherzig und zeigte deutlich ihre dunklen Augenringe. Die Haare standen ihr in einer seltsamen psychedelischen Frisur zu Berge. Vorsichtig kämmte sie die verfilzten Stellen, bis sie etwas geschaffen hatte, das wenigstens andeutungsweise ihrer normalen Frisur ähnelte. Gleichzeitig schien ihr alles, was mit ihrem Aussehen zu tun hatte, jetzt so bedeutungslos. Sara befand sich die ganze Zeit an der Peripherie ihres Blickfelds und hielt ihr Herz mit eisernem Griff umklammert.
Ihr Magen knurrte, aber bevor sie in die Cafeteria hinunterging, wollte sie einen Arzt sprechen, der ihr sagen konnte, wie es um Stig stand. Jedesmal, wenn sie nachts Schritte vor der Tür gehört hatte, war sie aufgewacht, darauf gefaßt, daß ein Arzt mit ernster Miene ins Zimmer treten würde. Aber niemand hatte sie geweckt, und sie nahm an, daß keine Nachrichten in diesem Fall gute Nachrichten bedeuteten. Aber sie wollte sich trotzdem informieren, also ging sie auf den Flur und fragte sich verwirrt, wo sie anfangen sollte zu suchen. Eine vorbeikommende Krankenschwester zeigte ihr den Weg zum Personalraum.
Sie überlegte, ob sie erst das Handy einschalten und zu Hause bei Niclas anrufen sollte, aber sie beschloß zu warten, bis sie mit dem Arzt gesprochen hatte. Albin und er schliefen vielleicht noch, und sie wollte nicht riskieren, sie zu wecken, denn sie wußte, daß Albin dann für den Rest des Tages quengelig war.
Sie steckte den Kopf durch die Tür, die ihr von der Schwester gezeigt worden war, und räusperte sich vorsichtig. Ein großer Mann saß dort drinnen, trank Kaffee und blätterte in einer Zeitung. Nach allem, was Niclas ihr erzählt hatte, wußte Charlotte, daß es ein Arzt nur selten schaffte, sich eine Weile ruhig hinzusetzen, und sie schämte sich fast, ihn zu stören. Dann erinnerte sie sich aber wieder ihres Anliegens und räusperte sich noch einmal lauter. Diesmal hörte er sie und drehte sich mit fragender Miene um.
»Bitte?«
»Ja … also, es geht um meinen Stiefvater, Stig Florin, er wurde gestern eingeliefert, und wir haben seit gestern abend nichts mehr gehört - wie geht es ihm jetzt?«
Bildete sie sich das nur ein, oder guckte der Arzt wirklich etwas seltsam? Doch wenn dem so war, hatte er sich gleich wieder unter Kontrolle und sah völlig normal aus.
»Stig Florin. Ja, wir haben seinen Zustand über Nacht stabilisieren können, er ist jetzt wach.«
»Wirklich?« rief Charlotte freudestrahlend. »Können wir ihn dann sehen? Ich meine, ich bin ja mit meiner Mutter hier.«
Wieder dieser seltsame Gesichtsausdruck. Trotz der guten Nachricht begann Charlotte sich ein wenig Sorgen zu machen. Gab es da irgend etwas, das er ihr nicht erzählte?
Seine Antwort kam nur zögernd. »Ich … ich halte das im Moment für nicht so gut. Er ist noch immer sehr schwach und muß sich erholen.«
»Ja, aber Sie könnten doch meine Mutter ganz kurz zu ihm lassen. Das kann doch nicht schaden, eher im Gegenteil. Sie stehen sich sehr nahe.«
»Das kann ich mir vorstellen«, gab der Arzt zurück. »Aber ich fürchte, Sie müssen sich damit abfinden, noch zu warten. Im Moment lassen wir niemand in Stigs Zimmer.«
»Aber warum …?«
»Sie müssen abwarten, bis wir Ihnen Bescheid geben«, unterbrach der Arzt sie brüsk, und sie war jetzt langsam richtig verärgert. Lernten diese Leute bei ihrer Ausbildung denn nicht, wie man mit Angehörigen umging? Dieser Mann war ja fast schon unverschämt. Er konnte von Glück reden, daß sie und nicht Lilian gekommen war, um mit ihm zu reden. Wenn er ihre Mutter so behandelt hätte, wäre er derart runtergeputzt worden, daß er nicht gewußt hätte, wo ihm der Kopf stand. Charlotte wußte, daß sie in solchen Situationen viel zu weich war. Sie murmelte also nur eine Antwort und zog sich dann hastig auf den Flur zurück.
Dann überlegte sie, was sie ihrer Mutter sagen sollte. Sie hatte ein komisches Gefühl bei der
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