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Die Toechter der Kaelte

Die Toechter der Kaelte

Titel: Die Toechter der Kaelte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Läckberg
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manchmal braucht man eben ein bißchen Glück.« Dann wurde er wieder ernst. »Aber wie gesagt, achten Sie darauf, daß niemand zu ihm ins Zimmer gelangt, und wir werden heute nachmittag unseren Job so gut wie möglich erledigen.«
    Sie gaben sich die Hand, und Patrik ging wieder nach draußen. Einen Moment lang glaubte er ganz hinten auf dem Flur Charlotte zu erkennen. Dann fiel die Tür hinter ihm ins Schloß.
     
    Göteborg 1958
     
    Es war ein Dienstag, als ihr Leben an seinen absoluten Tiefpunkt gelangt war. Ein kalter, grauer, diesiger Novembertag, der sich ihrer Erinnerungfür ewig eingeprägt hatte. Allerdings waren ihr eigentlich nicht mehr sehr viele Einzelheiten im Gedächtnis geblieben. Vor allem erinnerte sie sich, daß Freunde ihres Vaters gekommen waren und sagten, Mutter hätte etwas Entsetzliches getan, und Mary sollte jetzt mit der Frau vom Jugendamt mitgehen. Sie hatte in ihren Gesichtern gesehen, daß sie Gewissensbisse hatten, weil sie das Mädel nicht mit zu sich nach Hause nahmen, zumindest für ein paar Tage, aber keiner von Vaters vornehmen Freunden wollte wohl einen so unappetitlichen Fettwanst wie sie bei sich daheim haben. Da es keine Angehörigen gab, hatte sie einen Koffer mit dem Allemötigsten packen und der kleinen Frau folgen müssen, die sie abholen gekommen war.
    Die darauffolgenden Jahre waren nur noch in ihren Träumen vorhanden. Es waren keine direkten Alpträume, denn sie hatte eigentlich keinen Grund, sich über die drei Pflegefamilien, die sie durchlaufen hatte, besonders zu beklagen. Aber diese Zeit hatte das brennende Gefühl hinterlassen, daß sie niemandem etwas bedeutete, höchstens als Kuriosität. Denn dazu wurde man, wenn man vierzehn Jahre alt, obszön fett und Tochter einer Mörderin war. Ihre Pflegeeltern hatten weder Lust noch Kraft, das Mädchen kennenzulernen, das ihnen vom Jugendamt anvertraut worden war, aber sie klatschten gern über ihre Mutter, wenn die neugierigen Freunde und Bekannten der Familien zu Besuch kamen, um sie zu begaffen. Sie haßte sie allesamt.
    Am allermeisten haßte sie ihre Mutter. Haßte sie, weil die sie im Stich gelassen hatte. Haßte sie, weil ihr die Tochter so wenig bedeutet hatte im Vergleich zu einem Kerl, für den sie bereit gewesen war, alles zu opfern. Wenn sie daran dachte, was sie selbst der Mutter geopfert hatte, empfand sie die Erniedrigung noch stärker. Mutter hatte sie lediglich benutzt, das begriff sie jetzt. In ihrem vierzehnten Lebensjahr verstand sie auch das, was sie lange zuvor hätte begreifen müssen. Daß Mutter sie nie geliebt hatte. Sie hatte sich selbst einzureden versucht, daß das, was Mutter gesagt hatte, die Wahrheit war. Daß sie das, was sie tat, nur tat, weil sie die Tochter liebte. Alles, die Schläge, den Keller und die Löffel voll Demut. Doch so war es nicht. Mutter hatte es genossen, ihr weh zu tun, hatte sie verachtet, hinter ihrem Rücken gelacht.
    Deshalb hatte Mary beschlossen, nur eine einzige Sache von daheim mitzunehmen. Man hatte sie eine Stunde durch die Wohnung gehen lassen, um ein paar Dinge auszuwählen, der Rest würde verkauft werden, genau wie die Wohnung. Sie war durch die Zimmer gewandert und hatte die Vergangenheit Revue passieren lassen: Vater in seinem Sessel, die Brille auf der Nasenspitze und tief in seine Zeitung versunken, Mutter vor ihrem Frisiertisch, um sich für ein Fest herauszuputzen, sie selbst, wie sie in die Küche hinunterschlich, um etwas Eßbares zu finden. All diese Bilder überfielen sie, als blickte sie in ein chaotisches Kaleidoskop, und sie spürte, wie sich ihr der Magen umdrehte. In der nächsten Sekunde stürzte sie zur Toilette und erbrach eine übelriechende, schmierige Masse, deren beißender Geruch ihr die Tränen in die Augen trieb. Schniefend wischte sie sich mit dem Handrücken über den Mund, setzte sich dicht an die Wand auf den Boden und weinte, den Kopf zwischen den Knien.
    Als sie die Wohnung verließ, nahm sie nur eine einzige Sache mit. Die blaue Holzschachtel. Voll mit Demut.
     
    Niemand hatte etwas dagegen einzuwenden gehabt, daß er sich einen Tag frei nahm. Aina hatte sogar etwas in der Richtung gemurmelt, das sei ja auch wirklich an der Zeit, und dann hatte sie allen Patienten für diesen Tag abgesagt.
    Niclas kroch auf dem Boden herum und jagte Albin, der wieselflink zwischen den dort liegenden Spielsachen herumflitzte, noch immer im Schlafanzug, obwohl es schon nach zwölf war. Aber das machte nichts. Heute sollte mal so ein Tag

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