Die Toechter der Kaelte
Aber dann hatte sie gedacht, sie wollte Kaj vorher nur schnell noch etwas kochen und ein paar Hemden bügeln, eine Maschinenladung waschen, damit sie nicht eine Menge Schmutzwäsche hinterließ, und ehe sie sich’s versah, war der Koffer in aller Stille wieder ausgepackt.
Monica ging in die Küche. Er saß immer dort, wenn er über etwas aufgebracht war. Vielleicht, weil er dort den üblichen Grund seiner Erregung im Blick hatte. Jetzt war die Gardine ein Stück beiseite gezogen, so daß er auf das Nachbarhaus starren konnte.
»Hallo«, sagte Monica, aber bekam keinen vernünftigen Gruß zurück. Statt dessen ergoß sich ein erboster Wortschwall über sie.
»Weißt du, was die Alte heute gemacht hat?« Er wartete die Antwort nicht ab, und Monica hatte auch nicht vor zu antworten. »Sie hat die Polizei hergeschickt, hat behauptet, ich hätte sie mißhandelt! Zeigte irgendwelche verdammten Flecken vor, die sie sich selbst zugefügt hatte, und behauptete, ich hätte sie geschlagen. Verdammt noch mal, die ist doch nicht ganz richtig im Kopf!«
Monica war mit dem Vorsatz in die Küche gekommen, sich in Kajs jüngste Streitigkeit nicht hineinziehen zu lassen, aber das hier war weit schlimmer, als sie erwartet hatte, und gegen ihren Willen fühlte sie, wie Zorn in ihrer Brust aufstieg. Aber erst mußte sie ihre Sorge ausräumen. »Und es ist ganz sicher, daß du nicht über sie hergefallen bist, Kaj? Du hast schließlich die Tendenz aufzubrausen …«
Kaj schaute sie an, als hätte sie den Verstand verloren. »Was zum Teufel sagst du da? Glaubst du wirklich, ich bin so verdammt blöd, ihr auf diese Weise in die Hände zu spielen! Ich hätte gute Lust, ihr eins überzubraten, aber denkst du, ich wüßte nicht, was sie dann täte! Ich bin zwar rübergegangen und habe ihr gehörig die Meinung gegeigt, aber ich habe sie nicht angerührt!«
Monica sah ihm an, daß er die Wahrheit sagte, und sie fühlte, daß auch ihre Blicke sich haßerfüllt auf das Nachbarhaus richteten. Wenn Lilian sie doch nur in Frieden ließe!
»Und was ist passiert? Hat die Polizei ihren Lügen geglaubt?«
»Nein, glücklicherweise sind sie irgendwie dahintergekommen, daß sie gelogen hat. Sie wollten mit Stig reden, und ich glaube, er hat das irgendwie zum Einsturz gebracht. Aber es hätte nicht viel gefehlt.«
Sie setzte sich ihrem Mann gegenüber an den Küchentisch. Er war hochrot im Gesicht und trommelte wütend mit den Fingern auf der Platte.
»Wollen wir wirklich nicht das Handtuch werfen und wegziehen? So können wir doch nicht weiterleben.« Es war eine Bitte, die sie bereits häufig geäußert hatte, aber er reagierte immer mit derselben Entschiedenheit.
»Kommt nicht in Frage, habe ich doch gesagt. Sie wird mich niemals aus meinem Haus vertreiben, diese Genugtuung werde ich ihr nicht bereiten.«
Er schlug mit der Faust auf den Tisch, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, aber das war nicht nötig. Monica hatte sie schon öfter vernommen. Sie wußte, daß ihr Versuch sinnlos war. Und um ganz ehrlich zu sein, wollte auch sie Lilian nicht mit der Siegeshaube krönen. Nicht nach allem, was sie über Morgan gesagt hatte.
Der Gedanke an den Sohn gab ihr eine Chance, das Thema zu wechseln. »Hast du Morgan heute schon gesehen?«
Kaj löste widerstrebend den Blick von Florins Haus und brummte: »Nein, sollte ich das? Er kommt doch nie aus dieser Hütte raus, das weißt du doch.«
»Ja, aber ich dachte, du bist vielleicht mal rübergegangen, hast hallo gesagt und nachgesehen, wie es ihm geht.« Sie wußte, das war eine Utopie, die sie jedoch nicht aufgeben wollte. Morgan war doch schließlich sein Sohn.
»Warum sollte ich das?« fauchte Kaj. »Wenn er Gesellschaft braucht, kann er ja herkommen.« Er erhob sich. »Gibt’s irgendwann was zu essen?«
Schweigend stand auch Monica auf und begann mit den Vorbereitungen der Abendmahlzeit. Vor ein paar Jahren hatte sie zumindest gedacht, Kaj könnte sich schließlich ums Essen kümmern, wenn er nun schon zu Hause war. Jetzt tauchte dieser Gedanke nicht einmal mehr in ihrem Kopf auf. Alles war, wie es immer gewesen ist. Und es würde so bleiben.
Fjällbacka 1924
Kein Wort war während der Fahrt nach Fjällbacka gesprochen worden. Nachdem sie so viele Abende zusammengelegen und dem anderen ins Ohr geflüstert hatten, war jetzt kein einziges Wort übriggeblieben. Statt dessen saßen sie steif da wie Zinnsoldaten und starrten vor sich hin, jeder in seinen eigenen Grübeleien
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