Die Toechter der Kaelte
Verräterisch ruhige Momente, die von heftigen Sturmböen abgelöst wurden. Langsam liefen ihr Tränen über die Wangen. Patrik kam und setzte sich neben sie aufs Sofa.
»Entschuldige, ich war wohl ziemlich blöd. Es ist natürlich nicht ganz leicht, Mama hier im Hause zu haben.«
Sie fühlte die Unterlippe vibrieren. Sie hatte das Weinen so satt. Es schien, als hätte sie in den letzten Monaten nichts anderes getan. Wenn sie wenigstens darauf vorbereitet gewesen wäre, daß sich die Situation so entwickeln würde! Der Kontrast zu dem Freudenrausch, mit dem sie gerechnet hatte, wenn das Kind erst da war, erwies sich einfach als zu groß. In ihren dunkelsten Stunden haßte sie Patrik fast, weil er nicht dasselbe wie sie empfand. Die Logik sagte ihr, daß es gut sei, einer mußte schließlich die Familie am Laufen halten, doch wünschte sie, daß er sich nur einen kurzen Moment in ihre Lage versetzen und verstehen würde, wie es ihr erging.
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, sagte er: »Ich wünschte, ich könnte den Platz mit dir tauschen. Aber ich kann es nicht, also mußt du aufhören, so verdammt tapfer zu sein, und mir erzählen, wie du dich fühlst. Vielleicht solltest du sogar mit jemand anders reden, jemandem, der etwas von der Sache versteht. In der Mütterberatung können sie uns da bestimmt helfen.«
Erica schüttelte heftig den Kopf. Ihre Depression würde sicher von allein verschwinden. Das mußte sie einfach. Außerdem gab es andere, denen es viel schlechter erging als ihr.
»Charlotte war heute hier«, sagte sie.
»Wie steht’s mit ihr?« fragte Patrik leise.
»Besser, was auch immer das bedeutet.« Sie zögerte. »Seid ihr vorwärtsgekommen?«
Patrik lehnte sich auf dem Sofa zurück und schaute zur Decke. Ein tiefer Seufzer, dann sagte er: »Nein, leider. Wir wissen kaum, an welchem Ende wir anfangen sollen. Und außerdem scheint Charlottes durchgeknallte Mutter mehr daran interessiert, schlagende Argumente für ihren Streit mit dem Nachbarn zu finden, als uns bei der Ermittlung zu helfen. Das macht uns die Arbeit nicht gerade leichter.«
»Wie denn das?« fragte Erica interessiert, und Patrik faßte die Ereignisse des Tages kurz zusammen.
»Glaubst du, jemand in Saras Familie könnte mit dem Tod zu tun haben?« fragte Erica leise.
»Nein, das kann ich mir kaum vorstellen«, erwiderte Patrik. »Außerdem haben sie ja glaubwürdige Erklärungen abgegeben, wo sie sich an jenem Vormittag aufhielten.«
»Haben sie das?« fragte Erica mit sonderbarer Betonung. Patrik wollte gerade fragen, was sie damit meinte, als er hörte, daß die Haustür aufging. Kristina kam mit Maja im Arm herein.
»Ich verstehe nicht, was ihr mit diesem Kind gemacht habt«, sagte sie irritiert. »Sie hat den ganzen Heimweg im Wagen geschrien und war nicht zu beruhigen. Das hat man davon, wenn man sie beim kleinsten Wimmern hochnimmt. Ihr verwöhnt das Mädel. Du und deine Schwester, ihr habt wirklich nie so geschrien …«
Patrik unterbrach die Litanei, indem er ihr Maja abnahm, und Erica, die an dem Geschrei hörte, daß Maja Hunger hatte, setzte sich seufzend in den Sessel, knöpfte den Still-BH auf und holte eine milchgetränkte, schlabbrige Einlage heraus. Nun war es also wieder soweit…
Schon als sie das Haus betrat, spürte Monica, daß etwas nicht stimmte. Kajs Zorn kam ihr wie in Schallwellen entgegen, und sie fühlte sich sofort noch müder, als sie ohnehin war. Was gab es denn jetzt wieder. Schon vor langer Zeit hatte sie sein cholerisches Temperament satt bekommen, aber sie konnte sich nicht erinnern, daß es jemals anders gewesen wäre. Seit früher Jugend waren sie bereits zusammen, und vielleicht hatte man damals ein hitziges Temperament als etwas Dynamisches und Verlockendes empfunden. Sie konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern. Nicht, daß das irgendeine Rolle spielte, das Leben hatte sich nun mal entwickelt, wie es sich entwickelt hatte. Sie war schwanger geworden, man hatte geheiratet, Morgan war geboren worden, und dann hatte sich ein Tag zum anderen gefügt. Ihr Sexualleben war seit vielen Jahren tot, es war lange her, daß sie ein eigenes Schlafzimmer bezogen hatte. Vielleicht gab es etwas anderes als das hier, dennoch war es etwas Gewohntes und Gutbekanntes. Zuweilen hatte sie zwar mit dem Gedanken an Scheidung gespielt, und bei einer Gelegenheit, es war jetzt fast zwanzig Jahre her, hatte sie sogar heimlich ihre Tasche gepackt und war drauf und dran gewesen, mit Morgan wegzuziehen.
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