Die Töchter der Lagune
Famagusta, ersetzt werden musste. Es ist mir jedoch ein Anliegen, zu betonen, dass diese Änderung sich in keiner Weise auf den dramatischen Konflikt auswirkt.
Dieser Roman hat insofern einen Spagat für mich dargestellt, als ich einerseits dem Pfad der historischen Fakten so genau wie möglich folgen wollte; andererseits aber bemüht war, die Unbestimmtheitsstellen in Shakespeares Othello nach meinen eigenen Vorstellungen zu füllen. Ein Theaterstück episch zu adaptieren war eine Herausforderung, die mir jedoch auch viel Vergnügen bereitet hat. Eigene Figuren und Handlungsstränge zu schaffen, und diese mit dem Original zu verweben, war eine Gratwanderung. Ich habe versucht (vor allem bei der Zeichnung von Jago, Desdemona und Moro), so nah wie möglich an der Quelle zu bleiben. Allerdings war es an einigen Stellen nötig, die Motivation ein wenig zu verstärken, da – trotz aller „willing suspension of disbelief“ – manche Verhaltensweisen sonst nicht nachvollziehbar gewesen wären. Aber genau das hat auch den besonderen Reiz ausgemacht: Die Geschwindigkeit des Theaterstücks aufzugreifen und gleichzeitig den Mangel an epischer Breite dort zu ergänzen, wo es sich angeboten hat. Zudem stand bei einer so bekannten Geschichte natürlich eher das Wie des Erzählens im Vordergrund als das Was . So stellten das Aufzeigen der historischen Gegebenheiten und das Darlegen der Beweggründe der Figuren die besondere Herausforderung dar. Dem Othello-Kenner wird auffallen, dass die leidige Intrige um das Taschentüchlein ein wenig verändert worden ist – so wird Moros ungeheuerliche Tat wenigstens in Ansätzen nachvollziehbar.
Um den historischen Hintergrund, vor dem die Geschichte um Desdemona und General Moro spielt, zu verdeutlichen, habe ich Shakespeares Tragödie um einen zweiten Erzählstrang erweitert. Er erzählt vom Schicksal der jungen Venezianerin Elissa di Morelli, die von Piraten verschleppt wird und sich einem Leben als Sklavin des Sultans Selim II. (1566-1574) stellen muss, dem damaligen Herrscher über das Osmanische Reich. Da nur wenige Fakten über diesen zügellosen Sohn Süleymans des Prächtigen (1520-1566), der mit dem wenig schmeichelhaften Spitznamen Selim der Trunkenbold bedacht wurde, bekannt sind, hatte ich bei der Zeichnung seines Charakters freie Hand. Fakt ist, dass er seinen Palast nie verließ, um an einem Feldzug teilzunehmen; stattdessen zog er es vor, die Tage mit seinen Frauen und Konkubinen im Harem zu verbringen.
Sämtliche unfreie Mitglieder des Harems waren Christinnen, da der Koran die Versklavung von Gläubigen verbietet. Konvertierung bedeutete automatisch Freilassung. Obschon seine Mutter, Roxelana oder Hürrem, im Jahre 1558 starb, habe ich sie ein wenig länger dem Harem des Topkapi Palastes vorstehen lassen, um den mächtigen weiblichen Einfluss zu erhalten, der für die Entwicklung der Nebenhandlung vonnöten war. Durch die Heirat mit Roxelana verursachte Selims Vater, Süleyman der Prächtige, einen Skandal. Sie war die erste Sklavenkonkubine der osmanischen Geschichte, welche zuerst die Freiheit erhielt und dann zur offiziellen Gemahlin eines Sultans avancierte. Außergewöhnlich war auch, dass sie mehr als einen Sohn gebären durfte. Der offizielle Titel Valide Sultan wurde erst zu Zeiten Murads III. (1574-1595) eingeführt. Die Figur der Elissa di Morelli ist an Selims Gemahlin Nurbanu angelehnt, eine venezianische Adelige, die als Kind von Piraten entführt wurde. Manch einem mögen Parallelen zu einem meiner anderen Romane, Die Heilerin des Sultans , auffallen. Das liegt nicht daran, dass mir die Ideen ausgehen, sondern daran, dass das Osmanische Reich über Jahrhunderte hinweg die Weltgeschichte bestimmt hat. Das „Bestücken“ des Harems mit neuen Konkubinen und Militärsklaven wurde zu einem großen Teil dadurch ermöglicht, dass der Sultan den Korsaren der Barbareskenküste Kaperbriefe ausstellte, welche diese dazu ermächtigten, die Schiffe der Feinde des Sultans anzugreifen und zu plündern. Wenn sie ihre Heimathäfen anliefen, wurden sie für gewöhnlich schon von den Agenten des ortsansässigen Paschas erwartet, die den königlichen Anteil der Beutefahrt – oft eben auch Sklavinnen – in Empfang nahmen. Die Intrigen und Ränkespiele im Harem , die ähnlich auch schon in Die Heilerin des Sultans beschrieben werden und aus heutiger Sicht befremdlich anmuten mögen, waren damals an der Tagesordnung. Valide Sultan wurde nur, wer sich
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