Die Töchter der Lagune
angezogen, der durch die dicke Wolkendecke brach und von einem geflügelten Löwen zurückgeworfen wurde. Ihm war dieser Teil der Kirche immer ein wenig pompös erschienen, doch nun, im Licht des grauen Dezembertages, war der Effekt atemberaubend. Bevor er sich jedoch in dem Anblick verlieren konnte, verkündeten die Kirchenglocken dröhnend das Ende der Messe. Er schlenderte auf die Portale zu und erreichte sie gerade, als zwei livrierte Bedienstete im Begriff waren, sie zu öffnen. Im dunklen Inneren des Gebäudes war es ihm nicht möglich, mehr als eine verschwommene Menge sich bewegender Gestalten auszumachen, und er blinzelte, um besser sehen zu können. Obgleich in dem riesigen Innenraum Kerzen brannten, wurde ein Großteil des warmen Lichtes, das sie verströmten, von der hohen Gewölbedecke des Hauptschiffes verschluckt. Einer der Diener warf ihm einen misstrauischen Blick zu, doch als Sohn einer dunkelhäutigen Mutter war er an diese Art Taktlosigkeit gewöhnt und ignorierte sie.
Desdemona hatte sich bei Vater und Schwester untergehakt, und sobald er sie erblickte, fühlte er, wie sein Herz zu rasen begann. Er hatte sich gleich bei ihrer ersten Begegnung in sie verliebt, hatte jedoch niemals zu hoffen gewagt, dass sie diese Liebe erwidern könnte. Auch jetzt war er sich immer noch nicht sicher, allerdings hatte er geglaubt, etwas wie Schmerz in ihren wunderbar sanften Augen entdeckt zu haben, als er sich von ihr verabschiedet hatte, um nach Kreta zu segeln. Sie trug ein fließendes Gewand von der Farbe reifen Weizens, das perfekt mit ihren blonden Locken korrespondierte, die sie kunstvoll aufgetürmt und unter einem dünnen Schleier versteckt hatte. Um ihre schmalen Schultern lag ein pelzverbrämter Mantel, der sie vor der feuchten Kälte schützen sollte, und den sie enger um ihren Körper schlang, als sie die Piazza betraten. Sobald Signor Brabantio ihn erspähte, machte er sich von seinen beiden Töchtern los und eilte auf ihn zu. „Mein lieber Christoforo!“ Der alte Mann reichte ihm die Hände. „Ich bin froh, dass Ihr zurück seid.“ Als die beiden jungen Frauen sie erreichten, verbeugte Christoforo sich ein wenig steif, da er sich mit einem Mal beklommen fühlte. Desdemona errötete heftig und senkte den Kopf, wohingegen ihre Schwester Angelina ihm lediglich geistesabwesend zulächelte und kurz nickte. „Würdet ihr uns ein paar Minuten allein lassen?“, bat ihr Vater die beiden jungen Frauen, die daraufhin gehorsam nickten. „Wie Ihr wünscht, Papa“, gab Desdemona pflichtbewusst zurück und führte Angelina zurück in Richtung Dom.
Da ein scheußlicher Wind aus Richtung des Canal Grande aufgekommen war, zogen sich die beiden Mädchen in die Nische einer der Porte zurück, um sich vor der schneidenden Kälte zu schützen. „Autsch!“ Angelina wirbelte herum und öffnete den Mund, um Desdemona für den schmerzhaften Rippenstoß, den diese ihr versetzt hatte, zu schelten. Doch als sie den Gesichtsausdruck ihrer Schwester bemerkte, schluckte sie die ärgerlichen Worte und folgte ihrem entsetzten Blick. Was sie sah, vertrieb alles Blut aus ihren Wangen. Verborgen vor den Augen der davoneilenden Kirchgänger, war Cesare in einer Ecke des Gebäudes damit beschäftigt, ausgiebig an den Lippen einer jungen Frau zu saugen, wobei seine Linke auf ihrem ausladenden Hinterteil ruhte, während die andere Hand den weichen Flaum in ihrem Nacken liebkoste. Das Mädchen schien die Aufmerksamkeiten sichtlich zu genießen, da sie ihre Hüften energisch gegen seinen Körper presste. Cesare war dem Anschein nach nicht im Geringsten befremdet über ihr schamloses Verhalten. Das konnte nur eines bedeuten. Wutentbrannt schüttelte Angelina Desdemonas Hand ab, die versuchte, sie zurückzuhalten, und stürmte wie eine Furie auf das eng umschlungene Paar zu, das unbeirrt ekelhafte Knoten mit seinen Zungen flocht. Als Cesare sie aus dem Augenwinkel auf sich zustürzen sah, befreite er sich rasch aus der Umarmung des Mädchens und trat hastig einen Schritt zurück. „Angelina“, stammelte er, das bartlose Gesicht vor Schreck verzerrt. Doch bevor er anheben konnte, die Situation zu erklären, holte Angelina aus und ohrfeigte ihn mit solcher Wucht, dass der Schlag klatschend von den Wänden widerhallte. „Ich will dich nie wiedersehen“, zischte sie durch zusammengebissene Zähne. „Niemals!“ Mit diesen Worten hastete sie an Desdemona vorbei, die ihr gefolgt war, um das Schlimmste zu verhindern, und ließ
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