Die Tore Der Finsternis
fest.
»Warten Sie’s ab«, gab sie zurück. »Ich hab mehr Seiten als alle Platten von John Rebus zusammen.«
»Und er hat vermutlich eine Menge Platten, oder?«
»Ziemlich viele«, bestätigte Siobhan.
Unten auf der Straße ging sie zum nächsten Zeitungsladen, kaufte eine Abendzeitung und schlug die Kleinanzeigen auf.
»›Biete‹ oder ›Suche‹?«, fragte Hynds. Sie tippte mit dem Finger auf eine Rubrik mit der Überschrift »Saunas« und fuhr dann die Adressenliste entlang. »Paradiso«, sagte sie. »Luxuskabinen, TV und Parkplätze vor der Tür.«
Hynds schaute nach: Die Adresse schien zu stimmen. Mit dem Auto keine zwei Minuten. »Wollen Sie da jetzt vielleicht hinfahren?«, fragte er.
»Und ob.«
»Sollten wir uns nicht vorher anmelden?«
»Nur keine Skrupel. Es wird bestimmt lustig.«
Aber Hynds’ Gesichtsausdruck verriet ihr, dass er nicht recht daran glaubte.
Die »kommerziellen« Betriebe, denen die Commercial Street ihren Namen verdankte, waren schon vor langer Zeit eingegangen, aber es gab Anzeichen einer Renaissance. In einem glitzernden Glaspalast am Victoria Quay residierten neuerdings Staatsdiener. Etliche kleine Restaurants hatten eröffnet - waren zum Teil allerdings schon wieder Pleite gegangen -, die auf Krawattenträger und Spesenkonten abzielten. Nicht weit entfernt bot die Britannia, die einstige königliche Jacht, eine Touristenattraktion, und für die umliegende Industriebrachen war ein umfangreicher Sanierungsplan erstellt worden. Siobhan nahm an, dass Cynthia Bessant ihr Loft in der Hoffnung erstanden hatte, als eine der Ersten in einer Gegend zu wohnen, die Edinburghs Antwort auf die Londoner Docklands werden sollte. Auch der Standort des Paradiso war vermutlich kein Zufall. Nach Siobhans Ansicht befand es sich absichtlich auf halber Strecke zwischen dem Geld und dem Straßenstrich in der Coburg Street. Die Frauen vom Straßenstrich machten es für wenig Geld, zogen aber auch Gesindel an. Das Paradiso zielte dagegen auf zahlungskräftigere Freier. Die Fassade der Sauna war neu verkleidet und mittelmeerblau gestrichen worden, mit Palmen und tosender Brandung. Erneut wurden die Luxuskabinen angepriesen. Früher war es vermutlich ein Laden gewesen. Jetzt gab es nur noch eine unauffällige Tür mit einem quadratischen Spiegelglasfenster in der Mitte. Siobhan drückte auf die Klingel und wartete.
»Ja?«, ertönte eine Stimme.
»Kriminalpolizei«, rief Siobhan. »Könnte ich kurz mit Ihnen sprechen?«
Es dauerte einen Moment, bis die Tür geöffnet wurde. Der Raum dahinter stand voller Sessel, in denen offenbar bis vor kurzem mehrere Männer in blauen Frotteebademänteln gesessen hatten. Sehr hübsch, dachte Siobhan, das Blau passt zum Anstrich. Der Fernseher lief und zeigte eine Sportsendung. Einige der Männer hatten Kaffee oder Säfte getrunken. Jetzt aber hasteten alle auf eine Tür in der Rückwand zu, hinter der Siobhan einen Umkleideraum vermutete.
Gleich neben dem Eingang befand sich ein Empfangstisch; auf dem Stuhl dahinter saß ein junger Mann.
»’n Abend«, sagte Siobhan und zeigte ihren Dienstausweis vor. Hynds hatte seinen ebenfalls aufgeklappt, sein Blick wanderte jedoch prüfend durch den Raum.
»Was wollen Sie?«, fragte der junge Mann. Er war mager und trug sein langes schwarzes Haar zu einem Zopf gebunden. Vor ihm lag eine Art Geschäftsbuch, allerdings zugeklappt; ein Stift ragte zwischen den Seiten hervor.
Siobhan zückte ein Foto von Edward Marber. Es war neueren Datums - aufgenommen am Abend seines Todes in seiner Galerie. Er strahlte mit schweißglänzendem Gesicht in die Kamera - ein Mann, der keinerlei Sorgen und noch etwa zwei Stunden zu leben hatte.
»Die Herren stellen sich hier wahrscheinlich nicht mit Nachnamen vor«, sagte Siobhan. »Er könnte sich Edward oder Eddie genannt haben.«
»Aha.«
»Wir wissen, dass er Kunde bei Ihnen war.«
»Tatsächlich?« Der junge Mann warf einen Blick auf das Foto. »Und was hat er ausgefressen?«
»Er ist umgebracht worden.«
Der junge Mann ließ Hynds nicht aus den Augen, der sich zu der Tür in der Rückwand begeben hatte.
»Ach ja?«, fragte er geistesabwesend.
Siobhan reichte es. »Okay, Sie wollen uns nichts sagen. Das bedeutet, dass ich mit jeder der Damen sprechen muss, um rauszukriegen, wer ihn kannte. Ich rate Ihnen, Ihren Chef anzurufen und ihm mitzuteilen, dass der Laden für den Rest des Abends geschlossen bleibt.«
Das brachte ihr seine ungeteilte Aufmerksamkeit ein. »Der
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