Die Tore Der Finsternis
überschritt, spürte sie sofort, dass niemand mehr da war. Sie marschierte an Duschkabinen, Spinden und dem hölzernen Saunakabuff vorbei, dann die Treppe hinunter, die zu den Zimmern führte, wo die Mädchen arbeiteten. Keine Fenster: Es war das Kellergeschoss. Sie schaute in eines der Zimmer. Es roch nach Parfüm.
In einer Ecke war eine tiefe Badewanne eingelassen; überall Spiegel. Die Beleuchtung war mehr als schummrig. Gegrunze und Gestöhne war zu hören - in einem Fernseher oben an der Wand lief ein Porno. Zurück im Flur bemerkte Siobhan einen Vorhang am anderen Ende. Sie ging hin und zog ihn beiseite. Eine Tür. Der Notausgang. Er führte in eine schmale Gasse. Die Mädchen waren tatsächlich weg.
»Ausgeflogen«, bestätigte Hynds. »Was nun?«
»Wir könnten ihn wegen der verbotenen Vorführung von Pornofilmen anzeigen.«
»Könnten wir«, bestätigte Hynds. Er sah auf die Uhr. »Oder wir machen Feierabend.«
Siobhan stieg die schmale Treppe hinauf. Das Saunatelefon läutete schon wieder. Ricky wollte gerade abheben, hielt jedoch inne, als er Siobhan entdeckte.
»Wer ist Ihr Chef?«, fragte sie.
»Der Anwalt ist schon unterwegs«, erwiderte Ricky.
»Prima«, sagte sie auf dem Weg zum Ausgang. »Ich hoffe, er ist sauteuer.«
Der Errettungstrupp hatte von der Kneipe in die Lounge und von alkoholischen zu alkoholfreien Getränken gewechselt. Viele der Gäste von Tulliallan mussten übers Wochenende bleiben, aber wer durfte, fuhr nach Hause. Jazz McCullough und Allan Ward waren schon aufgebrochen. Ward hatte laut über die lange Fahrt gestöhnt, die vor ihm lag. Die anderen konnten sich noch nicht aufraffen, aber vielleicht lag es auch daran, dass ihnen ein Wochenende daheim nichts zu bieten hatte. Die Lounge war ein offener Bereich mit Ledersesseln und Sofas direkt vor dem Vorlesungssaal. Rebus hatte Kollegen erlebt, die es sich hier ein bisschen zu gemütlich gemacht hatten, so dass sie schließlich eingeschlafen und am nächsten Morgen mit steifen Gliedern aufgewacht waren.
»Hast du was vor, John?«, fragte Francis Gray.
Rebus zuckte mit den Achseln. Jean war zu einer Familienfeier eingeladen und hatte ihn gefragt, ob er mitkommen wollte, aber er hatte abgelehnt.
»Und du?«, fragte er zurück.
»Ich bin fünf Tage weg gewesen. Jede Wette, dass wieder alles Mögliche undicht oder kaputt ist.«
»Du bist wohl ein richtiger Heimwerker, was?«
»Um Himmels willen. Was meinst du, warum die Sachen ständig kaputtgehen?«
Die anderen lachten müde. Seit fünf Tagen waren sie nun in Tulliallan zusammen. Sie hatten das Gefühl, einander zu kennen.
»Ich werde mir morgen wohl das Spiel meiner Mannschaft ansehen«, meinte Tam Barclay.
»Welche Mannschaft ist das? Falkirk FC?«
Barclay nickte.
»Du solltest dir mal eine ordentliche Mannschaft suchen«, sagte Gray.
»Eine aus Glasgow, meinst du?«
»Was denn sonst?«
Rebus stand auf. »Gut, dann bis Montagmorgen in aller Frische.«
»Immer schön sauber bleiben, John«, antwortete Gray mit einem Zwinkern.
Rebus ging auf sein Zimmer, um ein paar Sachen zusammenzupacken. Es war klein und gemütlich, mit eigenem Bad, komfortabler als so manches Hotelzimmer, in dem er übernachtet hatte. Nur Leute vom CID hatten Anspruch auf Einzelzimmer. Die Polizeianwärter waren meist in Doppelzimmern untergebracht, so viele waren es. Rebus’ Handy war immer noch zum Aufladen an eine der Steckdosen angeschlossen. Er goss sich einen kleinen Laphroaig aus seinem Notvorrat ein und suchte im Radio einen Sender mit hämmernder Tanzmusik.
Dann nahm er das Handy und tippte ein paar Zahlen ein.
»Ich bin’s«, sagte er mit gedämpfter Stimme. »Warum habe ich immer noch nichts von Ihnen gehört?« Er lauschte geduldig der Beschwerde über die späte Stunde. Als klar wurde, dass Rebus darauf nicht eingehen würde, fragte die Person, wo er sich befinde.
»In meinem Zimmer. Was Sie da hören, ist nur das Radio. Wann treffen wir uns endlich?«
»Montag«, sagte die Stimme.
»Wo und wie?«
»Überlassen Sie das mir. Schon irgendwelche Erfolge zu verzeichnen?«
»Ich will über etwas anderes mit Ihnen reden.«
Einen Moment lang herrschte Stille in der Leitung, bis die Stimme wieder »Montag« sagte. Dann verriet ihm das Display seines Handys, dass die Verbindung unterbrochen war. Er suchte einen anderen Sender, stellte das Radio ab und vergewisserte sich, dass die Weckfunktion ausgeschaltet war. Er hatte die Reisetasche schon geöffnet, als er sich plötzlich
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