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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Edmund einen
Becher ein.
    Am Sonntag hatte
Petronilla bittere Tränen vergossen; seitdem aber hatte sie nur wenig Trauer um
ihren toten Bruder Anthony gezeigt. Überraschenderweise war es Edmund, den
Anthonys Tod mehr zu schmerzen schien, obwohl er seinen Bruder nie sonderlich
gemocht hatte. Immer wieder traten ihm unerwartet Tränen in die Augen, auch
wenn sie rasch wieder versiegten.
    Nun aber platzte er
beinahe mit seinen Neuigkeiten vom Einsturz der Brücke. Alice war geneigt,
Merthins Urteil infrage zu stellen, doch Edmund winkte ungeduldig ab. »Der
Junge ist ein Genie«, sagte er. »Er weiß mehr als die meisten Baumeister,
obwohl er nicht mal seine Lehre beendet hat.«
    Caris sagte in
verbittertem Ton: »Das macht es umso schändlicher, dass er den Rest seines
Lebens mit Griselda verbringen muss.«
    Alice eilte ihrer
Stieftochter zu Hilfe: »An Griselda ist nichts verkehrt.« »Doch«, widersprach
Caris. »Sie liebt Merthin nicht. Griselda hat ihn verführt, weil ihr Geliebter
die Stadt verlassen hat.« »Ist das die Geschichte, die Merthin dir erzählt?«
Alice lachte spöttisch.
    »Wenn ein Mann es
nicht will, dann tut er es nicht. Darauf kannst du mich beim Wort nehmen.«
Edmund grunzte. »Männer können durchaus verführt werden«, sagte er.
    »Oh, jetzt stellst
du dich also auf Caris‘ Seite, Vater?«, sagte Alice. »Na, das sollte mich nicht
überraschen. Das hast du ja immer schon getan.«
    »Hier geht es nicht
darum, auf wessen Seite ich mich stelle«, erwiderte Edmund. »Ein Mann mag etwas
im Vorfeld nicht tun wollen und es später bereuen; doch für einen kurzen
Augenblick können seine Wünsche sich ändern … besonders wenn eine Frau ihre
Verführungskunst einsetzt.«
    »Verführungskunst?
Du kannst nicht einfach davon ausgehen, dass Griselda sich Merthin an den Hals
geworfen hat! Vielleicht war es anders herum.«
    »Nun, wenn ich
recht verstanden habe, hat das Ganze seinen Anfang genommen, als Griselda
geweint hat und Merthin sie trösten wollte.«
    Caris hatte ihm das
erzählt.
    Alice machte ein
angewidertes Geräusch. »Du hattest schon immer eine Schwäche für diesen
aufsässigen Lehrburschen.«
    Caris aß einen
Bissen Brot mit Butter, hatte aber keinen Appetit.
    Sie sagte: »Ich
nehme an, sie werden ein halbes Dutzend fette Kinder bekommen und Merthin wird
Elfrics Werkstatt erben und einer von vielen Handwerkern werden, der Häuser für
die Kaufleute baut und sich bei der Geistlichkeit einschmeichelt, um Aufträge
zu ergattern — genau wie sein Schwiegervater.«
    Petronilla sagte:
»Und das ist sein Glück! Er wird einer der mächtigsten und geachtetsten Bürger
sein.«
    »Er hat ein
besseres Schicksal verdient.« »Ach ja?«, erwiderte Petronilla in spöttischem
Erstaunen. »Als Sohn eines verarmten Ritters, der nicht mal einen Shilling
übrig hat, um seiner Frau Schuhe zu kaufen? Was glaubst du denn, was sein
Schicksal ist?« Caris fühlte sich durch den Spott verletzt. Es stimmte, dass Merthins
Eltern arme Muntlinge waren, die für Speis und Trank in Abhängigkeit von der
Priorei lebten. Wenn Merthin eine gut gehende Baumeisterei erbte, bedeutete
dies in der Tat einen gesellschaftlichen Aufstieg für ihn. Trotzdem hatte Caris
das Gefühl, dass er etwas Besseres verdient hatte. Allerdings konnte sie nicht
sagen, welche Zukunft sie für Merthin im Sinn hatte. Sie wusste nur, dass er
etwas Besonderes war, und sie konnte den Gedanken nicht ertragen, er könnte wie
alle anderen werden.
     
    Am Freitag ging
Caris mit Gwenda zu Mattie Wise.
    Gwenda war noch
immer in der Stadt, weil Wulfric geblieben war, um der Beisetzung seiner
Familie beizuwohnen. Elaine, Edmunds Dienstmädchen, hatte Gwendas Kleid vor dem
Feuer getrocknet, und Caris hatte ihrer Freundin die Füße verbunden und ihr ein
Paar alte Schuhe gegeben.
    Caris hatte das
Gefühl, als habe Gwenda ihr nicht die ganze Wahrheit über ihre Abenteuer im
Wald gesagt. Gwenda hatte erzählt, Sim habe sie zu den Geächteten gebracht und
dass sie von dort entkommen sei; daraufhin habe Sim sie verfolgt, sei beim Brückeneinsturz
jedoch ums Leben gekommen. John Constable war mit dieser Geschichte zufrieden:
Geächtete standen außerhalb des Gesetzes, wie ihr Name ja schon verriet; somit
konnte Sim seinen Besitz nicht vererben. Gwenda war frei. Doch da war noch
irgend etwas anderes im Wald geschehen, dessen war Caris sicher — etwas,
worüber Gwenda nicht reden wollte. Doch Caris

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