Die Tore der Welt
drängte ihre Freundin nicht.
Manche Dinge blieben besser begraben.
In dieser Woche
wurde das Bild Kingsbridges von Leichenwagen und Trauerzügen beherrscht. Die
ungewöhnliche Art der Todesfälle machte keinerlei Unterschied, was die
Bestattungsrituale betraf.
Die Leichen mussten
gewaschen werden, während man gleichzeitig Leichentücher für die Armen nähte
und Särge für die Reichen zimmerte; dann galt es noch Gräber auszuheben und
Priester zu bezahlen. Nicht alle Mönche waren zum Priester geweiht, viele aber
schon, und diese arbeiteten nun tagein, tagaus in Schichten und leiteten die
Exequien auf dem Friedhof an der Nordseite der Kathedrale. Überdies gab es noch
ein halbes Dutzend Pfarrkirchen in Kingsbridge, deren Pfarrer nicht minder
beschäftigt waren.
Gwenda half Wulfric
bei den Vorbereitungen für die Beerdigungen. Sie übernahm die typischen
Frauenaufgaben wie das Waschen der Toten und das Nähen der Leichentücher. Sie
tat, was sie konnte, um Wulfric zu trösten. Der war wie ein Schlafwandler. Zwar
regelte er die Einzelheiten der Beisetzung, starrte dann aber stundenlang ins
Nichts und legte dabei in einem Ausdruck leichter Verwirrung die Stirn in
Falten, als versuche er, ein schwieriges Rätsel zu lösen.
Am Freitag waren
die Beerdigungen vorbei, doch der amtierende Prior, Carlus, hatte für den
Sonntag ein besonderes Hochamt angesetzt, um für die Seelen der Verunglückten
zu beten, weshalb auch Wulfric bis Montag bleiben würde. Gwenda erzählte Caris,
dass Wulfric dankbar zu sein schien, jemanden aus seinem eigenen Dorf an seiner
Seite zu haben, doch zeige er sich immer nur dann ein bisschen lebhafter, wenn
er von Annet redete. Caris bot ihr an, noch einen Liebestrank zu kaufen.
Sie fanden Mattie
Wise in der Küche, wo sie ihre Tränke braute.
In dem kleinen Haus
roch es nach Kräutern, Öl und Wein. »Ich hab so gut wie alles, was ich hatte,
am Samstag und Sonntag verbraucht«, erklärte Mattie. »Ich muss mir neue Vorräte
anlegen.«
»Aber du musst dabei
doch auch Geld verdient haben«, sagte Gwenda.
»Ja … wenn ich es
denn eintreiben kann.« Caris war entsetzt.
»Betrügen die Leute
dich etwa um das, was dir zusteht?« »Einige, ja. Ich versuche zwar stets, mein
Geld zu bekommen, solange die Leute noch unter Schmerzen leiden; aber wenn sie
keinen Penny dabei haben, ist es schwer, ihnen die Behandlung zu verweigern.
Die meisten zahlen hinterher, aber nicht alle.« Caris war entrüstet.
»Und was sagen sie
dann?« »Alles Mögliche. Dass sie es sich nicht leisten können; dass der Trank
ihnen nicht geholfen habe; dass er ihnen gegen ihren Willen verabreicht worden
sei … Aber mach dir keine Sorgen. Es gibt noch genug ehrliche Menschen, dass
ich mein Geschäft weiterführen kann. Was kann ich für euch tun?« »Gwenda hat
bei dem Unglück ihren Liebestrank verloren.« »Das lässt sich leicht beheben.
Warum braust du ihr nicht rasch einen?« Während Caris die Mixtur anrührte,
fragte sie Mattie: »Wie viele Schwangerschaften enden mit einer Fehlgeburt?«
Gwenda wusste, warum ihre Freundin das fragte. Caris hatte ihr alles über
Merthins Problem erzählt. Die Mädchen hatten viel Zeit damit verbracht,
entweder über Wulfrics Gleichgültigkeit oder Merthins hochfliegende Prinzipien
zu diskutieren. Caris war sogar versucht gewesen, einen Liebestrank für sich
selbst zu kaufen und ihn bei Merthin anzuwenden, hatte es dann aber doch
bleiben lassen.
Mattie schaute sie
scharf an, antwortete aber unverbindlich: »Das weiß niemand. Häufig versäumt
eine Frau einen Monat, doch im nächsten ist alles wieder normal. War sie nun
schwanger und hat das Kind verloren, oder hatte das Ganze einen anderen Grund?
Das kann man unmöglich sagen.«
»Oh.«
»Von euch ist
allerdings keine schwanger, wenn du dir darüber den Kopf zerbrichst.«
»Woher weißt du
das?«, fragte Gwenda.
»Es reicht, euch
anzusehen. Eine schwangere Frau verändert sich schnell. Nicht nur ihr Bauch und
ihre Brüste, auch ihre Hautfarbe, ihre Art, sich zu bewegen, ihre Launen. Ich
erkenne solche Dinge schneller als die meisten — deshalb nennt man mich ja
›weise‹ Aber wer ist denn nun schwanger?«
»Griselda, Elfrics
Tochter.«
»Oh,ja, ich habe
sie gesehen. Sie ist im dritten Monat.« Caris staunte. »In welchem Monat?«
»Im dritten …
oder fast. Sieh sie dir doch nur mal an. Sie war nie dünn, aber jetzt ist sie
üppiger denn je. Warum erschreckt dich
Weitere Kostenlose Bücher