Die Tore der Welt
Thomas zu verbergen
sucht.«
»Nein. Aber es gibt
immer einen Grund für ein Geheimnis.«
»Glaubt Ihr nicht,
dass Murdo versuchen wird, diese Information gegen Thomas einzusetzen?« »Natürlich
wird er das versuchen.«
»Was wird Murdo
tun?«
»Ich weiß es nicht,
aber was es immer sein mag, es wird Thomas ganz sicher schaden.«
Philemon runzelte
die Stirn. »Ich dachte, wir würden Thomas helfen.« Godwyn lächelte. »Das glaubt
jeder.« Die Glocke läutete zur Sext.
Philemon machte
sich auf die Suche nach Murdo, und Godwyn schloss sich dem Rest der Mönche in
der Kirche an. Im Chor mit den anderen betete er: »Herr, eile mir zu helfen …
« Bei dieser Gelegenheit betete er mit ungewöhnlichem Ernst. Trotz des Selbstvertrauens,
das er Philemon gegenüber gezeigt hatte, wusste er, welch riskantes Spiel er
trieb. Er hatte alles auf Thomas‘ Geheimnis gesetzt, doch er wusste nicht, was
auf der Karte zu sehen sein würde, wenn er sie umdrehte.
Allerdings war es
ihm gelungen, die Mönche aufzurütteln. Sie waren rastlos und ungewöhnlich
gesprächig, und Carlus musste zweimal während der Psalmen »Ruhe!« rufen. Die
Mönche mochten Bettelmönche im Allgemeinen nicht, die stets von jenen
schnorrten, die sie gleichzeitig verdammten. Und Murdo mochten sie im Besonderen
nicht, denn er war großspurig, gierig und versoffen. Jeder wäre ihnen lieber
als er.
Als sie nach dem
Gottesdienst die Kirche verließen, wandte Simeon sich an Godwyn. »Wir können
den Friar nicht akzeptieren«, sagte er.
»Da stimme ich dir
zu, Bruder.«
»Carlus und ich
werden keinen weiteren Namen ins Spiel bringen. Wenn die Mönche gespalten zu
sein scheinen, wird der Graf seinen Kandidaten als notwendigen Kompromiss
präsentieren können. Wir müssen unsere Differenzen beiseite legen und uns um
Thomas scharen. Wenn wir uns der Welt als Einheit präsentieren, wird es dem
Grafen schwerfallen, sich gegen uns zu stellen.«
Godwyn blieb stehen
und drehte sich zu Simeon um. »Danke, Bruder«, sagte er und zwang sich, Demut
zu zeigen und sich seine Freude nicht anmerken zu lassen.
»Wir tun das zum
Wohle der Priorei.«
»So ist es. Dennoch
weiß ich deine Großmut zu schätzen.« Simeon nickte und ging davon. Godwyn
konnte den Sieg schon riechen.
Die Mönche zogen
ins Refektorium zum Essen. Murdo gesellte sich zu ihnen. Er verpasste zwar
Gottesdienste, Mahlzeiten aber nie.
In allen Klöstern
galt die Regel, dass jeder Mönch oder Friar bei Tisch willkommen war — obwohl
nur wenige Menschen diese Praxis derart schamlos ausnützten, wie Murdo es zu
tun pflegte. Godwyn musterte das Gesicht des Bettelmönchs. Der Friar wirkte
aufgeregt, als würde er förmlich platzen, den Mönchen etwas mitzuteilen.
Allerdings
beherrschte er sich während des Essens und lauschte stattdessen dem Novizen,
der heute aus der Bibel vorlas.
Er hatte die
Geschichte von Susanna und den Ältesten gewählt.
Das missbilligte
Godwyn: Diese Geschichte war viel zu lüstern, um sie laut in einer Zölibatären
Gemeinschaft vorzulesen. Doch heute vermochten nicht einmal die Erpressungsversuche
zweier lüsterner alter Männer, die eine Frau zum Geschlechtsverkehr zwingen
wollten, die Aufmerksamkeit der Mönche auf sich zu ziehen. Stattdessen
flüsterten sie untereinander und warfen immer wieder verstohlene Blicke zu
Murdo.
Nach dem Essen — und
nachdem der Prophet Daniel Susanna vor der Hinrichtung bewahrt hatte, indem er
die Ältesten voneinander getrennt befragt und heraus gefunden hatte, dass sie
unterschiedliche Geschichten erzählten — bereiteten die Mönche sich zum Aufbruch
vor. In diesem Moment wandte Murdo sich an Thomas.
»Wenn ich mich
recht entsinne, hattest du eine Schwertwunde, als du hierhergekommen bist,
Bruder Thomas.«
Er sprach laut
genug, dass jeder ihn hören konnte, und die anderen Mönche blieben auch sofort
stehen, um zu lauschen.
Thomas schaute ihn
mit steinernem Gesicht an. »Ja.« »Die Wunde hat letztlich dazu geführt, dass du
deinen linken Arm verloren hast. Ich frage mich, ob du dir diese Wunde im
Dienste der Königin Isabella zugezogen hast.« Thomas erbleichte. »Ich bin nun seit
zehn Jahren Mönch in Kingsbridge. Das Leben, das ich zuvor geführt habe, ist
vergessen.« Murdo machte ungerührt weiter. »Ich frage das wegen des Stücks
Land, das du bei deinem Eintritt mitgebracht hast. Es ist ein äußerst
ergiebiges kleines Dorf in Norfolk. Fünfhundert Morgen. In der
Weitere Kostenlose Bücher