Die Tore der Welt
die Verletzbarkeit des Priors
ist auch das Kloster selbst bedroht. Ich hätte von selbst zu der Erkenntnis
gelangen müssen, zu der Friar Murdo mich durch seine Bosheit geführt hat: dass
ein Mann kein Prior werden kann, der keine Fragen zu seiner Vergangenheit beantworten
will. Deshalb … «
Der junge Theodoric
rief: »Nein!«
»Deshalb ziehe ich
meine Kandidatur zurück.« Godwyn stieß einen langen Seufzer aus. Er hatte sein
Ziel erreicht.
Thomas setzte sich
wieder. Murdo schaute ihn selbstgefällig an, während alles wild
durcheinanderredete.
Carlus schlug auf
den Tisch, und langsam kehrte wieder Stille ein.
»Friar Murdo«,
sagte Carlus, »da du keine Stimme bei dieser Wahl hast, muss ich dich bitten,
uns jetzt zu verlassen.«
Mit einem
triumphierenden Ausdruck auf dem Gesicht ging Murdo langsam hinaus.
Als er verschwunden
war, sagte Carlus: »Das ist eine Katastrophe: Murdo als einziger Kandidat!«
Theodoric sagte:
»Wir dürfen Thomas nicht erlauben, seine Kandidatur zurückzuziehen.«
»Er hat es aber
getan!«
Simeon sagte: »Also
muss ein anderer Kandidat gefunden werden.« »Ja«, bestätigte Carlus. »Ich
schlage Simeon vor.« »Nein!«, rief Theodoric.
»Lass mich
sprechen«, sagte Simeon. »Wir müssen denjenigen von uns wählen, der die Brüder
am wahrscheinlichsten gegen Murdo vereinen kann. Ich kann es nicht. Ich weiß,
dass ich bei den Jungen nicht genug Rückhalt habe. Aber wir wissen wohl alle,
wer die meiste Unterstützung bekommen würde.«
Er drehte sich zu
Godwyn um.
»Ja!«, sagte
Theodoric. »Godwyn!«
Die jüngeren Mönche
jubelten, und die alten schauten resigniert drein. Godwyn schüttelte den Kopf,
als wolle er nichts darauf erwidern. Die Jungen begannen auf die Tische zu
schlagen und skandierten seinen Namen: »Godwyn! Godwyn!«
Schließlich erhob
er sich. Sein Herz war voller Freude, doch er behielt eine ernste Miene bei. Er
hob die Hände, um Ruhe zu gebieten. Dann, als Schweigen sich herabsenkte, sagte
er mit leiser, bescheidener Stimme: »Ich werde dem Willen meiner Brüder gehorchen.«
Jubel brandete auf.
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KAPITEL 23
Godwyn zögerte die
Wahl hinaus. Graf Roland würde toben vor Wut, wenn er das Ergebnis erfuhr, und
Godwyn wollte ihm so wenig Zeit wie möglich geben, um die Entscheidung vor der
Hochzeit anzufechten.
Die Wahrheit war,
dass Godwyn Angst hatte. Er würde sich gegen einen der mächtigsten Männer im
Königreich stellen. Es gab nur dreizehn Grafen. Zusammen mit den ungefähr
vierzig niederen Baronen, einundzwanzig Bischöfen und einer Handvoll anderer
regierten sie England. Wenn der König das Parlament einberief, waren sie die Herren,
die Gruppe der Edelleute, im Gegensatz zu den Commons, den Rittern, Bürgern und
Kaufleuten. Der Graf von Shiring war einer der Mächtigeren und Prominenteren
seines Standes.
Trotzdem lag Bruder
Godwyn, einunddreißig Jahre, Sohn der Witwe Petronilla, der nicht höher
aufgestiegen war als zum Mesner der Priorei von Kingsbridge, im Widerstreit mit
diesem Grafen — und was noch gefährlicher war: Er würde gewinnen.
Und so spielte er
auf Zeit. Doch sechs Tage vor der Hochzeit stampfte Roland mit dem Fuß auf und
sagte: »Morgen!«
Die ersten
Hochzeitsgäste trafen bereits ein. Der Graf von Monmouth hatte sich im Hospital
einquartiert, im Gemach neben Roland. Herr William und Lady Philippa hatten in Bells
Gasthaus umziehen müssen. Bischof Richard teilte sich das Haus des Priors mit
Carlus. Niedere Barone und Ritter füllten die Tavernen zusammen mit ihren
Frauen und Kindern, Junkern, Dienern und Pferden. Die Stadt genoss den
Geldregen, der dabei auf sie niederging, zumal es nach den enttäuschenden
Einnahmen des verregneten Wollmarkts bitter nötig war.
Am Morgen der Wahl
gingen Godwyn und Simeon in die Schatzkammer, einen kleinen, fensterlosen Raum
hinter einer schweren Eichentür in der Bibliothek. Dort lagerten in einer
großen, eisenbeschlagenen Truhe, die nur für besondere Gottesdienste hervorgeholt
wurde, die wertvollsten liturgischen Gegenstände. Simeon, als Schatzmeister,
hatte die Schlüssel dafür.
Der Ausgang der
Wahl stand bereits so gut wie fest; so jedenfalls dachten alle, ausgenommen
Friar Murdo und Graf Roland. Niemand vermutete auch nur, dass Godwyn bei alldem
seine Finger im Spiel gehabt hatte. Es hatte nur einen Moment der Spannung
gegeben, als Thomas sich laut gefragt hatte, woher Murdo von Isabellas Überschreibung
gewusst hatte.
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