Die Tore der Welt
Fähigkeiten zu verfügen, die man als Prior von Kingsbridge
braucht?« »Sicher nicht.«
»Oh. Und ich hatte
es so sehr gehofft … « Godwyn spielte den Enttäuschten, obwohl er sich darauf
verlassen hatte, dass Sauls Demut ihn zu solch einer Antwort zwang.
»Aber …«, sagte
Saul. »Was?«
»Mit Gottes Hilfe
… Wer weiß, was ein Mensch mit ihr erreichen kann?« »Wie wahr.« Godwyn
verbarg seine Verärgerung. Sauls Selbstzweifel waren nur eine Art fromme
Formalität gewesen: In Wahrheit glaubte Saul, der Aufgabe durchaus gewachsen zu
sein.
»Vielleicht
solltest du heute Nacht darüber beten.« »Ich bin sicher, dass ich an kaum etwas
anderes denken werde.« Sie hörten entfernte Stimmen. »Ah, die Brüder kehren von
ihrer Arbeit zurück.« »Wir können am Morgen ja wieder reden«, sagte Godwyn.
»Falls du dich zur
Kandidatur entschließen solltest, musst du mit uns nach Kingsbridge kommen.«
»Nun gut.«
Es bestand die
ernsthafte Gefahr, dass Saul die Nominierung akzeptierte, fürchtete Godwyn;
aber er hatte noch einen Pfeil im Köcher. »Da ist noch etwas, das du vielleicht
bei deinen Gebeten mit bedenken solltest«, sagte er. »Ein Edelmann gibt nie
etwas umsonst.«
Saul schaute
besorgt drein. »Was meinst du damit?« »Grafen und Barone verteilen Titel,
Ländereien, Ämter, Monopole — aber immer hat es seinen Preis.« »Und in diesem
Fall?«
»Wenn du gewählt
werden solltest, wird Roland von dir erwarten, dass du es ihm vergütest. Du
bist sein Neffe, und du wirst ihm dein Amt verdanken. Also wirst du seine
Stimme im Kapitel sein und dafür sorgen, dass alles, was in der Priorei
geschieht, seine Interessen nicht gefährdet.«
»Wird er das als
Bedingung für die Nominierung nennen?«
»Ausdrücklich
nicht. Aber wenn du mit mir nach Kingsbridge zurückkehrst, wird er dich fragen,
und diese Fragen werden dazu gedacht sein, deine Absichten zu enthüllen. Wenn
du darauf bestehst, als Prior unabhängig zu sein, und nicht die Absicht zeigst,
deinem Onkel und Förderer besondere Gunst zu erweisen, wird er sich für jemand
anderen entscheiden.« »Daran habe ich gar nicht gedacht…«
»Natürlich
könntest
du ihm einfach sagen, was er hören will, und deine Meinung nach
der Wahl wieder
ändern.« »Aber das wäre unredlich.«
»Nicht viele würden so denken.« »Gott würde
so denken.«
»Dann sollest du
heute Nacht beten, dass der Herr dich bei deiner Entscheidung leiten möge.«
Eine Gruppe junger
Mönche kam in die Küche. Sie waren verschlammt von der Arbeit auf den Feldern
und redeten laut durcheinander. Saul stand auf, um ihnen Bier aufzutragen, doch
der besorgte Ausdruck blieb auf seinem Gesicht. Und er war auch noch dort, als
die Brüder zum Abendgebet in die kleine Kirche gingen, in der das Wandgemälde
die Schrecken des Jüngsten Gerichts zeigte.
Die Sorge wich auch
nicht aus Sauls Gesicht, als schließlich das Abendessen serviert wurde und
Godwyn seinen Hunger mit dem hervorragenden Käse der Mönche stillte.
Godwyn lag die
ganze Nacht wach, obwohl ihm von dem zweitägigen Ritt sämtliche Knochen weh taten.
Er hatte Saul vor ein scheinbar unlösbares ethisches Problem gestellt. Die
meisten Mönche wären sofort bereit gewesen, ihre wahren Wünsche im Gespräch mit
Roland zu verschleiern und dem Grafen einen weit größeren Gehorsam zu
versprechen, als sie tatsächlich zu geben bereit waren. Nicht aber Saul. Er
wurde von rein moralischen Beweggründen angetrieben. Würde er einen Weg aus
diesem Dilemma finden und die Nominierung akzeptieren? Godwyn konnte es sich
nicht vorstellen.
Saul hatte noch
immer diesen besorgten Ausdruck auf dem Gesicht, als die Mönche sich in der
Dämmerung zur Laudes erhoben.
Nach dem Frühstück
sagte Saul zu Godwyn, er könne die Nominierung nicht akzeptieren.
Godwyn konnte sich
einfach nicht an Graf Rolands Gesicht gewöhnen, so seltsam war es anzuschauen.
Der Graf trug nun einen Hut, um die Verbände zu verbergen, die um seinen Kopf
gewunden waren; doch dieser Versuch, wieder halbwegs normal auszusehen,
bewirkte das genaue Gegenteil und betonte nur die Lähmung seiner rechten
Gesichtshälfte. Auch schien Roland übellauniger zu sein als gewöhnlich, und
Godwyn vermutete, dass er nach wie vor unter starken Kopfschmerzen litt.
»Wo ist mein Neffe
Saul?«, verlangte er zu wissen, kaum dass Godwyn das Gemach betreten hatte.
»Noch immer in St.
John, Mylord. Ich habe ihm Eure Nachricht
Weitere Kostenlose Bücher