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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Ludwig litt immer noch unter der Schuld, den Tod seines Bruders verursacht zu haben. Und vielleicht war da ja noch mehr. Ich dachte an die gespenstische Messe, die ich heimlich beobachtet hatte. Schließlich war auch Ludwig dabei gewesen, damals im Gewölbe. Da musste es eine Verstrickung geben in diesen, wie ich befürchtete, ketzerischen Irrglauben, eine Verbindung zu Wido, dem unheimlichen Alten. Vielleicht lastete das alles auf seinem Gewissen und er suchte tief in seiner Seele immer noch verzweifelt nach Erlösung. Und Elisabeth? Für sie war es nicht nur ein Herzensbedürfnis, ihren geliebten Ludwig von allen Sünden befreit zu wissen. Nein, auch sie selber wünschte sich sehnlich, Jerusalem zu sehen. An den Stätten zu wandeln, die Jesu Füße betreten hatten. An seinem Grab zu beten. Ich wusste genau, sie hatte niemals diesen verrückten Kinderwunsch aufgegeben, einmal »Heilige« zu werden. Und der Weg nach Jerusalem würde ein weiterer Schritt zu diesem Ziel sein. So dachte sie. Wie hatte Herr Walther von der Vogelweide einst seinen Kreuzritter singen lassen? »Mir ist geschehn, was ich erbat, ich bin kommen an die Statt, da Gott als menschlich Wesen trat. Mein sündig Auge sieht das reine Land … bin ich erst über See gefahren, so will ich nur noch singen wohl und nimmermehr o weh …«
    Als wir wenig später erfuhren, dass der Kaiser seinen Kreuzzug erst im Jahr 1227 antreten wollte, waren wir alle enttäuscht, am allermeisten wohl Heinrich Raspe. Ich traf ihn zufällig an der Zisterne, nachdem das zweite Schreiben vom kaiserlichen Hof uns erreicht hatte. Seine Miene war finster, selbst mein Gruß und mein Lächeln konnten ihn nicht aufheitern. »Morgen reite ich auf ein paar Wochen nach Hessen«, erklärte er. »Ich brauche Abwechslung.« Ich spürte seine Enttäuschung und seinen Zorn, und es tat mir weh, dass er fort wollte. Aber natürlich musste auch er wissen, dass es eben Zeit brauchte, einen Kreuzzug vorzubereiten. Die allermeisten Reichsfürsten waren wohl nicht so schnell bereit, ins Heilige Land zu ziehen, wie Ludwig. Und man brauchte ja auch Tausende und Abertausende einfache Kreuzfahrer, das Fußvolk für die Kämpfe. Die mussten erst angeworben werden. Und das geschah durch Kreuzprediger, die nun durchs Land ritten und überall versuchten, die Menschen in Ansprachen und Gottesdiensten für die heilige Aufgabe zu begeistern. Einen von ihnen, diesen Teufel, Gott verfluche ihn, sollten wir noch kennenlernen – nur allzu bald würde er unser Leben bestimmen …
     
    Aber zuerst kam ein anderer Gottesdiener an unseren Hof. Eines Tages stand er vor dem Tor, barfuß, in einer schäbigen braunen Kutte. Es muss irgendwann zwischen Cantate und Pfingsten gewesen sein, wenn ich mich recht erinnere. Er heiße Rodeger, ließ er melden, und komme von den Minderbrüdern in Erfurt.
    Elisabeth empfing ihn mit ihrer kleinen Tochter auf dem Schoß. Sie war neugierig, genau wie ich. In den letzten Jahren hatten wir viel gehört von dieser neuen Glaubensbewegung in Italien, angeführt von einem reichen Kaufmannssohn, der allen Besitz aufgegeben hatte, um in der Nachfolge Christi in Armut zu leben. Anfangs hatte man sie belächelt. Die ersten »Franziskaner«, wie man sie bald nannte, waren über die Alpen gekommen, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Nachdem sie die Erfahrung gemacht hatten, dass das Wörtchen »ja« ihnen bei allen unverständlichen Fragen wie »Habt ihr Hunger?« oder »Sucht ihr Unterkunft?« oder »Wollt ihr zum Pfarrer?« zum Guten gereicht hatte, antworteten sie schließlich bei einer kirchlichen Untersuchung auf die lächelnd vorgetragene Frage, ob sie denn Ketzer seien, ebenfalls fröhlich mit »ja«. Daraufhin jagte man sie davon – und damit hatten sie noch Glück –, und sie flüchteten zurück nach Assisi.
    Später hatten sie es geschickter angestellt, und inzwischen gab es im Reich einige Niederlassungen des neuen Ordens. Jetzt brachte man den Franziskanern auch Respekt entgegen, denn im Jahr 1223 hatte der Papst den Orden endgültig anerkannt.
    »Seid willkommen im Namen Christi, Bruder Rodeger«, begrüßte Elisabeth ihren Gast und ließ ihm einen Schemel holen, auf den er sich zu ihren Füßen setzte.
    Rodeger war ein hochgewachsener Mann in den Dreißigern, mager und ausgezehrt vom vielen Fasten. Er hatte eine leise, sanfte Stimme und die gütigsten Augen, die man sich vorstellen kann. Mit leuchtendem Blick erzählte er vom Ideal der Armut, dem die Franziskaner

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