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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Wartburg ein. Es ist zwar noch nicht alles fertig, aber er will sehen, was es für Fortschritte gibt. Ich sitze auf meinem Gerüst, wo ich dem Meister das Werkzeug zulangen muss, und gucke mir fast die Augen aus dem Kopf. Da, ich kann sie sehen! Vorn der Landgraf mit seinen Rittern, glänzende Schwerter an der Seite. Dann die Dunkle, wie sie mitten im Zug auf einem Apfelschimmel reitet, und gleich hinter ihr mein Engel. Liebe Güte, ist der wieder schön! In Eisenach sagen sie, die rote Jutta ist die Hübscheste von allen, oder vielleicht noch die Hilde vom Stadtfischer, weil die hat keine Narben von Flohbissen im Gesicht, aber – kein Vergleich! Natürlich weiß ich schon, dass mein Engel ein Mensch ist, bin ja nicht blöd. Ich nenn ihn bloß noch so, weil ich seinen Namen ja nicht kenne. Irgendwann, denke ich, möcht ich ihr mal ins Haar fassen. Das ist wie gesponnenes Silber, bestimmt weicher als alles, was ich jemals angefasst hab. Es weht im Wind hinter ihr her, als sie über den Hof reitet. Verheiratet ist sie also nicht, sonst müsste sie ja eine Haube tragen oder einen Schleier. Wer die wohl mal kriegt? Klatsch, da hab ich schon eine gefangen! Der Meister hat mir eine Maulschelle verpasst, die nicht von schlechten Eltern ist. Ich halte mir die Backe, und er schnauzt mich an, ob ich wohl schon Feierabend mache oder wie? Da zeige ich ihm meinen Engel, und er schnalzt mit der Zunge. Keinen schlechten Geschmack hast du, Bürschchen, sagt er. Die würd ich auch gern mal … Er macht eine unanständige Handbewegung. Widerlicher, geiler Kotzbrocken! Mein Engel macht so was nicht.
    Wochenlang freue ich mich ab da jeden Tag auf die Arbeit, weil manchmal sehe ich den Engel, wie er über den Hof geht oder aus dem Fenster schaut oder sonst irgendwas macht. Ich möchte so furchtbar gern mal zu ihr hin, aber ich trau mich nicht. Und dann kommt mir ein Gedanke. Ratz, unser Hund, ist nämlich Vater geworden. Die Nachbarstöle hat sechs Junge geworfen, von denen sehen fünf haargenau aus wie Ratz. Nur eines ist anders, es hat glattes Fell und ist schwarzweiß gefleckt. Das nehm ich und bring es ihr, denke ich mir. Wenn man ein Geschenk hat, wird man nämlich nicht abgewiesen, da freut sich jeder.
    Ich stecke also den Welpen in meine Umhängetasche, wo sonst ein Stück Brot zum Mittagessen drin ist, und als ich sie sehe, wie sie zum Palas geht, renne ich hin. Jetzt stehe ich vor ihr und weiß nicht recht, was ich sagen soll.
    »Wer bist du denn?«, fragt sie. Ich sehe, dass ihre Augen so blau sind wie der Himmel.
    »Primus«, sage ich, »von Eisenach.«
    Sie kichert. »Primus«, wiederholt sie, »so heißt doch keiner.« Das sagen immer alle.
    »Weil ich der erste Sohn bin«, sage ich ein bisschen beleidigt. Engel machen sich nicht über andere lustig.
    »Ach so.« Sie nickt. Da ziehe ich den Welpen aus meiner Tasche. Er japst und windet sich, als ich ihn ihr hinhalte.
    Sie schaut mich ganz ungläubig an, dann nimmt sie das Hündchen. »Ist der für mich?«, fragt sie.
    »Hm.« Ich ärgere mich, weil ich so verlegen bin.
    »Du bist aber lieb.« Sie drückt den Welpen an die Brust und er versucht, ihr das Gesicht abzuschlecken. »Der ist ja niedlich, schwarz und weiß.«
    Ich stehe da, und mir fällt nichts mehr ein. »Danke«, sagt sie, »ich will ihn Fitzlifitz nennen.«
    »So heißt doch keiner«, sage ich, und sie kichert wieder. Dann streichelt sie mir übers Haar. »Geh in die Küche und frag nach Meister Wirin, dem Herrenkoch. Lass dir Brot und Suppe geben, und ein Stück Räucherfleisch. Sag, die Jungfer Gislind schickt dich.«
    Da merke ich erst, wie groß mein Hunger ist, weil ich ja statt dem Brot den Hund in den Beutel gesteckt hab. Ich flitze zur Küche.
    Später sitze ich mit meiner Schüssel Biersuppe, Brot und Speck auf einem Mäuerchen und lasse es mir schmecken. Mir geht’s so gut wie noch nie. Und ich weiß jetzt, wie mein Engel heißt!

Gisa
    S eit Isentrud als Nothelferin bei Hermanns Geburt zugegen war, mochte Elisabeth nicht mehr ohne sie sein. Isentrud war um etliches älter als wir, hatte schon zwei halberwachsene Kinder und einen Mann. Eigentlich wäre sie daheim als Wirtschafterin auf der Burg vonnöten gewesen, und ihr Mann wandte sich denn auch an Ludwig; er wollte seine Frau wiederhaben. Doch Elisabeth setzte ihren Willen am Ende durch. Sie ließ die Hörselgauerin entscheiden, und die zog den Hofdienst vor. Isentruds jüngerer Sohn wurde vorzeitig als Schildknappe an den Hof aufgenommen –

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