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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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nacheiferten, vom Betteln, der Pflege Aussätziger, dem Dienst an den Ärmsten. »Dem Menschen gehört nur die Sünde«, sagte er, »er bleibt ein Bettler vor Gott. So leben wir in großer und fröhlicher Armut, denn der Herr spricht: ›Gib freudig alles her, was du besitzt, und folge mir nach‹.«
    Elisabeth hörte ihm zu wie entrückt. Das war genau, was sie immer geglaubt und gewollt hatte. Endlich gab es jemanden, der sie verstand! Natürlich, Vater Berthold war stets nachsichtig mit ihr gewesen, hatte sie nie getadelt oder gemaßregelt. Aber dieser Mann hier in seinem schäbigen Habit, der einfach dahockte und so leise sprach, dass man ihn kaum verstand, der lebte den Traum, den Elisabeth seit jeher verfolgte. Er lehrte das, wofür sie immer verlacht wurde. Und als er sie schließlich fragte, ob er sich mit einer Handvoll seiner Brüder irgendwo in Thüringen niederlassen dürfe, gab es kein Zögern und kein Nachdenken.
    »Kommt in unsere Stadt Eisenach«, sagte Elisabeth und strahlte dabei vor Freude. »Ihr dürft Euch eine Kirche wählen, ich sorge dafür, dass mein Gatte, der Landgraf, Euch die schriftliche Erlaubnis erteilt.«
    Ludwig, der seiner Frau nie etwas abschlagen konnte, überließ den Franziskanern schließlich die ehemalige Pfarrkirche Sankt Michael, die ohnehin zu klein geworden war. Bis die Minoriten im darauffolgenden Jahr herkamen, blieb Bruder Rodeger bei uns, und wir alle lernten ihn schätzen und lieben. Auch ich ließ mich von seiner Glaubensfreude, seiner liebenswerten Einfachheit und seinem stillen Frohsinn anstecken und begann langsam zu verstehen, was Elisabeth und die frommen Minderbrüder bewegte.
     
    Und dann geschah etwas, das meinen Sinn von Glaubensdingen so weit abschweifen ließ, wie man es sich nur vorstellen kann. In mir begann ein Fieber zu wühlen, eine wilde, unbezähmbare Begierde erfüllte mich, eine Leidenschaft, die neu war und brannte wie Feuer. Denn Heinrich Raspe war zurückgekehrt. Seit er wieder am Hof war, drehten sich meine Gedanken nur noch um ihn. Und so, wie er mich ansah, wie er immer wieder meine Gegenwart suchte, ging es ihm genauso. Er verschlang mich geradezu mit Blicken. Ich traf ihn morgens, wenn ich in den Garten ging, mittags, wenn ich meinen kleinen Zelter im Marstall besuchte, abends, wenn ich noch einen Krug Wein für Elisabeth aus dem Keller holte. Er schien wieder zu seiner alten Fröhlichkeit zurückgefunden zu haben, lachte und scherzte mit mir. Oft hatte er eine kleine Aufmerksamkeit für mich: ein Schüsselchen frisch gepflückter Walderdbeeren, eine bunte Vogelfeder, ein Stück besonders schönen Samt für ein Haarband. Ich nahm alles züchtig entgegen, ohne ihm dafür Freiheiten zu gewähren. Manchmal versuchte er, mich zu berühren oder seinen Arm um mich zu legen, aber ich wehrte ihn jedes Mal ab. Erobern sollst du mich, dachte ich, so wie ein Ritter seine Dame. Und er begriff, umwarb mich nach allen Regeln der Minne. Was ich nie zu träumen gewagt hatte, war Wirklichkeit geworden: Ja, der Bruder des Landgrafen begehrte mich für sich! Der zweithöchste Mann im Land! Und wie schön er war mit seinen blitzblauen Augen und dem blonden Haar! Welche Kraft steckte in diesem herrlich männlichen Körper, welche Stärke! Ich liebte seine geschmeidigen Bewegungen, das Spiel der Muskeln unter seinem Leinenhemd. Und wie er auf seinem schwarzen Hengst saß, die Schenkel fest angepresst, eins mit dieser wilden Kreatur! Ich konnte nicht anders, ich dachte unaufhörlich an ihn. Ob er wohl zärtlich sein konnte? Ob seine Kraft zu Sanftheit würde, wenn er eine Frau umarmte? Nachts lag ich wach und hielt die Sehnsucht nach ihm fast nicht aus. Und als er mir schließlich ein Zettelchen zusteckte, auf dem stand, dass er mich spät am Abend, wenn alle schliefen, an der steinernen Bank im Kräutergärtchen treffen wolle, da stockte mir der Atem und meine Knie begannen zu zittern. Ich vergaß allen Stolz und alle guten Vorsätze, nickte ihm zu und formte mit den Lippen ein stummes Ja.
     
    Es war eine Nacht im August, lau und verheißungsvoll. Heute noch sehe ich am östlichen Himmel das gespenstische Wetterleuchten, sehe die Wolken und die fernen schwarzen Hügel in silbrigem Schimmer aufblitzen. Immer noch habe ich das Zirpen der Grillen im Ohr, und das leise Lachen, das aus einem der Gesindezimmer drang.
    Gehüllt in meinen dunklen Seidenumhang, huschte ich über den Hof in das kleine Gärtchen hinter dem alten Bergfried. Dem Türsteher vor unserer

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