Die Tore des Himmels
Zofen legten die Hände zusammen wie zum Gebet, rollten die Augen zum Himmel und tippelten so an uns vorbei, wenn wir ihnen in den Gängen begegneten. Wiederum andere kicherten nur oder schnitten uns einfach. Es war so schrecklich, dass ich vor lauter Scham wieder hinkte wie in meinen schlimmsten Zeiten. Ich glaube, sogar Guda haderte mit Elisabeths Starrsinn. Schließlich musste sie zusammen mit mir die Gehässigkeiten einstecken, die eigentlich ihr galten, und das hatten wir wirklich nicht verdient. Ach Gott, damals ahnten wir noch nicht, dass wir an ihrer statt noch viel Schlimmeres würden aushalten müssen.
Das Einzige, was mich tröstete, war Heinrich Raspes Gegenwart. Wir hatten zwar kaum Gelegenheit, alleine zu sein, aber oft zwinkerte er mir zu oder gab mir ein kleines, vertrautes Zeichen. Einmal spürte ich seine Finger auf meinem Rücken, als er zufällig am Frauentisch vorbeiging, und seine Berührung ließ mich am ganzen Körper erschauern. Dann endlich, am Morgen des Tages der Heiligen Barbara, fand ich ein Zettelchen in meinem Nähzeug. »Heute nach dem Mittagsmahl im Wirtshaus zur Eidechse« stand darauf.
Uns Zofen war es erlaubt, hinunter in die Stadt gehen, um Besorgungen zu machen. Elisabeth gab gern ihre Zustimmung und blieb mit Guda in ihrem Zimmer, während ich mir schlechten Gewissens, aber voller Vorfreude, die Trippen umschnallte und mich auf den Weg machte. Ich gab vor, Spielsachen für die Kinder kaufen zu wollen, und Elisabeth hatte mir daraufhin sogar noch Geld zugesteckt. »Nimm ruhig mehr mit«, sagte sie lächelnd. »Für die Kinder meiner lieben Armen daheim.«
Im Regen lief ich den steilen Berg hinunter. Der Tag war düster und ungemütlich, es schien, als duckten sich die Nürnberger Stadthäuser unter den schweren grauen Wolken. Immer wieder glitt ich aus, weil die Gassen so schlammig waren. Ich fragte eine junge Mutter, die Barbarazweige feilbot und dabei ein kleines Mädchen an der Hand hielt, nach einem Spielzeugmacher, und sie schickte mich in die Krämersgasse, wo ich ein Säckchen mit Glasringlein, ein paar Kreisel und dazu etliche Tonflöten und Schnitztierchen erstand, dazu ein Wägelchen mit Pferd für den kleinen Hermann. Bei einem Dockenmacher verliebte ich mich in ein wunderhübsches Püppchen mit geschnitztem Kopf und echtem Haar. Sophia war zwar dafür noch ein bisschen klein, aber man konnte das Püppchen ja aufheben, und so kaufte ich es teuer für einen Viertelpfennig. Ich ließ mir den Weg zur »Eidechse« beschreiben und lenkte dann, beladen mit all meinen Schätzen, meine Schritte in die Waaggasse, wo das Gasthaus lag.
Bis ich dort ankam, war ich völlig durchnässt. Es war eine Taverne mit Braurecht und Schlafplätzen; über dem großen zweiflügeligen Tor prangte eine kunstfertig gemalte giftgrüne Eidechse, so dass ich das Haus sofort erkannte. Ich wusste, dass sich Heinrich mit etlichen seiner Freunde dort eingemietet hatte, obwohl er als Bruder der Braut durchaus auf der Burg hätte wohnen können. Aber ihm war es lieber gewesen, in der Stadt zu logieren. Die allermeisten Gäste übernachteten ja in den Nürnberger Wirtschaften und Herbergen, weil allein das umfangreiche Gefolge des Königs schon kaum mehr Unterschlupf in der Kaiserburg gefunden hatte.
Ich betrat die Gaststube, die voller Leute war und dämpfig von der Feuchtigkeit der Kleider. Im Kamin brannte ein munteres Feuer, über dem ein Kupferkessel hing, aus dem es verlockend roch. Eine Magd rührte mit einem Holzlöffel darin herum. »Verzeiht, ich habe eine Nachricht für Herrn Heinrich Raspe von Thüringen«, fragte ich sie. »Wo kann ich ihn finden?«
Sie richtete sich auf und winkte einen Knaben herbei, dem sie etwas zuflüsterte. Der Bursche nahm mich bei der Hand und zog mich in einen großen, rechteckigen Innenhof. Von hier aus führte eine schmale Treppe zu einem umlaufenden hölzernen Gang, von dem aus vielleicht zehn Türen abgingen. Der Junge deutete auf die Tür mit dem roten Hund und flitzte dann davon.
Ich rannte die Stufen hinauf, voller Vorfreude auf meinen Liebsten. Bevor ich anklopfte, richtete ich noch schnell meine Kleider und glättete mein feuchtes Haar mit den Fingern. Dabei spähte ich durch das kleine Fenster neben der Tür. Ich sah Heinrich drinnen mit dem Rücken zu mir an einem Tischchen sitzen, auf dem noch sein Rasierzeug stand. Er war in Wams und Hemd; der Stoff spannte sich über seinem kräftigen Rücken. Es machte mich stolz, dass dieser Mann mich
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