Die Tore des Himmels
Geschichtenerzähler, hörte den Trommlern und Pfeifern zu. Elisabeth saß neben der frisch verheirateten Königin – schließlich war sie nach ihr die zweite Dame im Reich.
»Ei, liebste Schwester«, flötete Margarete in ihrem weichen österreichischen Dialekt, »was ist Euch denn, dass Ihr Euch die letzten Tage nicht unter den Frauen habt blicken lassen? Und nun sehe ich Euch gar nicht geschmückt, gekleidet wie eine Nonne und nicht wirklich fröhlich?«
Elisabeth ließ das Fazenettlein sinken, mit dem sie sich gerade die Lippen betupft hatte. Es wäre ganz einfach gewesen, den Tod des Reichsverwesers und das Unglück mit der Treppe als Entschuldigung anzuführen. Aber sie wollte ehrlich sein und geradlinig, wie der Herr es von seinen Gläubigen verlangte. Nein, sie würde sich nicht mehr verstellen. »Gott will nicht, dass wir hier in Samt und Seide sitzen, prassen und völlern«, sagte sie lauter, als nötig war. »Unser Herr Jesus war arm, und es steht geschrieben: ›Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher ins Himmelreich eingeht‹. Sagt, Liebden, habt Ihr nicht Angst, dereinst dem Satan anheimzufallen?«
Alles Gespräch verstummte abrupt, Köpfe fuhren herum. Wie konnte jemand es wagen, so mit der Königin zu reden? Elisabeth spürte wohl, wie entsetzt die anderen waren. Dennoch fuhr sie fort. »Seht doch, liebste Schwester«, sprach sie weiter, »Euer Geschmeide und Eure kostbaren Kleider! Eine ganze Stadt könnte von dem satt werden, was ihr am Leibe tragt. Gott in seiner großen Güte will, dass wir freudig geben und nicht hoffärtig sind.«
»Wollt Ihr unsere Königin beleidigen?« Clementia von Zollern, die streitbare Gattin des Nürnberger Burggrafen, war mit erboster Miene aufgestanden. Doch Margarete machte gute Miene zum bösen Spiel und zog sie auf ihren Sitz zurück. »Unsere liebe Schwester Elisabeth meint es nur gut, nicht wahr?«, besänftigte sie. »Vielleicht sollten wir uns alle öfter darauf besinnen, was unser Glaube von uns verlangt.«
Elisabeth nickte beifällig. »Ihr versteht mich recht, Schwester. Heiligmäßig leben, das ist es, was der Herr von uns will. In seinen Augen sind all unser Putz und Tand nicht mehr wert als Schmutz und Asche. Wie Jesus sollen wir sein, besitzlos und arm, um unser täglich Brot heischend. Dann stehen uns die Tore des Himmels offen.«
»Aber wie soll das gehen, Liebden?«, fragte die Burggräfin und verzog den Mund zu einem kleinen, boshaften Lächeln. »Wir sind schwache Frauen, wie könnten wir im Land umherziehen und betteln? Womöglich noch gemeinsam mit zwölf unverheirateten Männern?« Die anderen Frauen am Tisch kicherten in ihre Taschentücher.
Elisabeth schüttelte den Kopf und neigte sich wieder zur Königin. »Frau Clementia hat mich nicht recht verstanden, scheint mir. Nein, niemand muss betteln gehen, wenn er das nicht will. Aber wir Frauen können unsere Liebe zu Gott auch auf andere Art beweisen. Vor allem, indem wir unser höchstes Gut bewahren: die Reinheit und die Keuschheit. Denkt an das Gleichnis des Sämanns, in dem es heißt: ›Ein Teil des Samens fiel auf guten Boden und brachte Frucht, dreißigfach, sechzigfach und hundertfach.‹ Dreißigfältige Frucht bringt der Ehestand, sechzigfältige der Witwenstand und hundertfältige der Stand der Jungfräulichkeit.«
Agnes, die gegenübersaß, ließ klirrend ihr Essmesser auf den Silberteller fallen. Die Frauen an der Tafel, allen voran die Landgrafenmutter Sophia, machten betretene Mienen. Und wieder rettete Margarete die Lage. Sie lachte hell auf. »Ihr meint also, liebste Schwester, dass Frau Agnes und ich und auch Ihr selbst gar nicht erst hätten heiraten sollen?«
»Ach nein!« Elisabeth lächelte still. »Uns Frauen vom Adel ist die Jungfernschaft ja selten vergönnt. Auch mir war sie nicht bestimmt. Dafür müssen wir unsere Hingabe an Gott anders zeigen. Wir können in einfachen Kleidern gehen, können täglich unsere Gebete sprechen, können allen Zierrat ablegen. Eure Ärmel zum Beispiel! Seht nur, wie viele Edelsteine hineingestickt sind, wie viele Perlen! Und Euer Surkot mit den aufgenähten Goldplättchen! Der Herr findet keinen Gefallen an solchen Dingen. Ich selber, Schwester, gehe daheim in einfachen wollenen Sachen wie die ärmsten Frauen. Wie die Jungfrau Maria trage ich weder Gold noch Silber. Gott soll meine Demut sehen, Gott und die ganze Welt. Ja, wenn Ihr auch so leben würdet, Ihr als Königin, dann stünde auch für Euch der
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