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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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gewohnt, schließlich zog er nun schon seit über zehn Jahren als Kreuzprediger durch die Lande. Und er war der Beste, das hatte ihm der Erzbischof von Trier erst kürzlich bestätigt. Überall folgten die Männer seinem Ruf. Und die Opferstöcke, die er für Kreuzzugsspenden bei seinen Predigten aufstellte, waren stets gefüllt. Konrad von Marburg dachte an seine Zeit als junger Mann bei den Prämonstratensern. Wie wenig hatte er damals als einfacher Mönch bewirken können! Dann war er zum Studium nach Paris gegangen, und es hatte sich schnell herausgestellt, dass er der scharfsinnigste Denker, der mitreißendste Redner, der unnachgiebigste Glaubensstreiter von allen war. Die Kunde seiner außergewöhnlichen Gaben war bis nach Rom gedrungen, und so hatte der Papst ihn zum Kreuzprediger berufen. Und nicht nur das. Er hatte ihn zum Inquisitor ernannt, zum Ketzerjäger. Diese Aufgabe war Konrad seither die Wichtigste von allen. Die Anhänger des Satans aufzuspüren und zu verurteilen, dem Bösen das Handwerk zu legen, dafür lebte er. Keine Ruhe gönnte er sich, keinen Augenblick der Rast, keine Bequemlichkeit. Auch jetzt nahm er sich gar nicht erst Zeit für die Abendmahlzeit, sondern ging noch einmal hinunter zum Pfarrhaus, um mit dem Dorfgeistlichen zu reden.
    Der Mann, ein zittriger Greis mit eisgrauen Haaren, empfing ihn ehrfürchtig. »Was kann ich für Euch tun, Herr Magister?«, fragte er. »Ich bin nur ein kleiner Leutepriester, aber wenn ich Euch helfen kann …«
    »Nicht mir sollt Ihr helfen, sondern Gott«, antwortete Konrad liebenswürdig. »Wie Ihr sicherlich wisst, lieber Bruder, treiben im Reich schon seit längerer Zeit Menschen ihr Unwesen, die den Teufel anbeten. Wir nennen sie Luziferianer, sie selber bezeichnen sich als ›Reine‹ oder ›Gute‹.«
    »Nun ja, ich habe davon gehört«, meinte der alte Priester vorsichtig. »Im Rheinland drüben soll es welche davon geben.«
    »Oh, sicher«, gab Konrad von Marburg zurück und legte vertraulich die Hand auf des Priesters Arm. »Aber nicht nur dort. Ihr werdet es nicht glauben, aber diese Ketzer sind überall, leben mitten unter uns, in der frömmsten Gemeinde. Sie tarnen sich gut, mit Hilfe des Teufels! Sie treffen sich heimlich, um dem Leibhaftigen zu huldigen, nachts, wenn alles schläft. Dann feiern sie ihre schwarzen Messen, bei denen sie den widernatürlichsten Gelüsten pflegen. Da treibt es Mensch mit Tier, Sohn mit Mutter, Schwester mit Bruder. Es ist unaussprechlich, entsetzlich, lästerlich!«
    »Ach, Herr«, lächelte der Alte, »so etwas gibt es hier bei uns nicht. Wir sind einfache, fromme Leute, unser Dorf ist klein und arm, jeder kennt jeden. Würde jemand unzüchtige oder ketzerische Dinge tun, wüsste es schnell die ganze Gemeinde. Nein, nein, ich kenne meine Schäfchen.«
    »Oh, sagt das nicht, mein Guter.« Konrad rollte mit den Augen. »Erst vor drei Tagen, in Schmalkalden, habe ich ein Nest von Ketzern ausgehoben. Der Pfarrer dort hat mir vorher genau das Gleiche erzählt wie Ihr. Er war entsetzt.«
    »Ja, aber, woran könnte ich denn einen solchen Ungläubigen erkennen?«, wollte der Alte wissen. Er war sichtlich verunsichert.
    »Nun, zum Beispiel daran, dass er bei Vollmond auf einem Krebs reitet«, antwortete Konrad bereitwillig. »Oder die heilige Hostie ausspuckt. Oder die Finger nicht ins Weihwasser taucht. Sich nächtens mit anderen an heimlichen Orten trifft. Da gibt es viele Möglichkeiten. Sagt, habt ihr niemanden in der Gemeinde, der merkwürdige Dinge tut?«
    Der alte Pfarrer wiegte den Kopf hin und her. »Eigentlich nicht. Höchstens …«
    »Höchstens?«
    »Die Walfrieda, die Witwe vom Sternwirt, die ist nicht ganz richtig im Kopf. Die hat neulich in der Messe wieder mal die Augen verdreht, ist umgefallen und hat gezuckt.«
    »Ach!«
    »Ja, das geschieht immer bei der Wandlung.«
    »Bei der Wandlung!« Konrad kratzte sich am Kinn. »Das ist verdächtig. Der Teufel erträgt es nicht, wenn der Leib Christi sich manifestiert, und seine Anhänger auch nicht.«
    »Aber«, wagte der Alte einzuwenden, »manchmal fällt sie aber auch einfach nur daheim um oder auf der Wiese, wo sie halt grad ist.«
    »Was treibt das Weib nächtens?«
    Der Priester überlegte. »Nun ja, sie schläft, denke ich. Allerdings …«
    »Ja?«
    »Der Nachtwächter hat sie schon öfter gesehen, wie sie umhergegangen ist, von ihrer Wirtschaft bis zum alten Sudhaus, wo sie früher immer gebraut hat. Aber dafür gibt es bestimmt eine Erklärung.

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