Die Tore des Himmels
ich liebe meinen Gatten über alles. Aber heißt es nicht, dass man niemanden mehr lieben darf als Gott? Und der Ehestand verhindert ein Leben in Keuschheit.«
Konrad überlegte. Hier, ihm gegenüber, saß nicht nur irgendeine Frau, nein, die zweithöchste Frau im Reich nach der Königin. Und sie bettelte förmlich um Hilfe. Was bot sich da für eine Gelegenheit! Es war geradezu unglaublich! Das musste ein Wink des Himmels sein! Diese Suchende brauchte einen Seelenführer, jemanden, der ihr den Weg zur Heiligkeit zeigte, sie anleitete und formte. Und dieser jemand würde er sein, Konrad von Marburg! Er spürte, wie ihn diese Erkenntnis schier überwältigte. Was hier geschah, kam einem Geschenk des Allmächtigen gleich, einem Auftrag des Herrn. Wenn das Werk gelang, würde er, Konrad, über diese Frau und mit ihr unsterblich werden. Er schluckte, musste sich erst sammeln, sein Hochgefühl dämpfen, bevor er fragte: »Wolltet Ihr denn Euer Ziel immer noch verfolgen, Frau Elisabeth, wenn ich Euch sagte, dass es trotz allem einen Weg dorthin gibt?«
Sie sah ihn ungläubig an. »Beim Leiden unseres Herrn Jesus Christus, ja!«
»Es wäre ein steiniger Weg, Liebden, und er würde Euch an den Rand dessen führen, was Ihr ertragen könnt. Es braucht völlige Selbstentäußerung, allertiefste Demut, größte Leidensfähigkeit. Traut Ihr Euch das zu?«
»Oh, Meister, ich würde alles dafür tun, alles. Wollt Ihr mich nicht führen? Ich bin nur ein schwaches Weib, ich brauche einen, der meiner Seele den Weg weist.«
Konrad schürzte die Lippen. Er würde die Landgräfin erst noch ein wenig zappeln lassen. »Nun, Liebden, bevor ich Euch etwas verspreche, will ich erst Gott befragen. Lasst uns morgen weiterreden.«
Er stand auf und ließ Elisabeth in ihrer Verwirrung allein, mit all ihren Wünschen, Hoffnungen und Ängsten. Er wusste, sie würde in dieser Nacht kein Auge zutun.
Er selber verbrachte die Nachtstunden in der Kapelle, mit ausgebreiteten Armen auf den Boden hingestreckt. Wie immer wagte sich sein Diener Johannes erst im Morgengrauen zu ihm, um ihn zu wecken, falls er eingeschlafen war. Doch er fand ihn hellwach. »Was war es diesmal, das Euch um die wohlverdiente Nachtruhe gebracht hat, Meister?«, fragte er. Konrad erhob sich und klopfte den Staub von seiner Kutte. Er wollte seinem Gehilfen nichts von seinen Gedanken über Elisabeth erzählen, die gingen ihn nichts an. Also sprach er von dem, was ihn ohnehin täglich bewegte. »Nun, wie meistens, mein Sohn«, erwiderte er ernst, »ist es die Sorge um das Heilige Grab, die mich umtreibt. Und die Bedrängnis, in der die Kirche sich befindet, seit die gottlosen Ketzer wie die Pilze aus dem Boden schießen.«
Johannes lief neben seinem Herrn her. »Aber die Katharer sind doch längst blutig bekämpft worden, in Frankreich hat man sie im glorreichen Ketzerkreuzzug vernichtet!«
Konrad schüttelte den Kopf. »Das stimmt nur zum Teil, Johannes. Ganz ausrotten hat man die Teufelsanbeter nicht können. Überall hebt das Böse wieder seinen Kopf. Erinnere dich: Erst gestern wieder, zu Waltershausen, dieses Ketzerweib. Das ist unsere heilige Pflicht, solche schändlichen Wesen und Abtrünnige des rechten Glaubens zu entlarven und ihrer gerechten Strafe zuzuführen.« Konrads Augen wurden schmal. Ja, deshalb zog er in Wahrheit im Land herum, das war seine eigentliche Mission. Er wollte den Satan besiegen. Die Predigt für den Kreuzzug war notwendig, Jerusalem musste befreit werden. Aber noch viel wichtiger war die Suche nach den Anhängern des Leibhaftigen, die so viele Menschen zur Ketzerei verführten. Die Inquisition. Satanas durfte nicht die Herrschaft auf Erden übernehmen.
Johannes riss Konrad aus seinen Gedanken. »Darf ich noch etwas fragen, Meister?«
»Nur zu, mein Sohn.« Konrad setzte sich in eine Fensternische und wies seinem Gehilfen den gegenüberliegenden Platz zu.
Johannes druckste ein wenig herum. Schließlich fragte er: »Ich verstehe das nicht. Diese Katharer predigen Armut in der Nachfolge Christi, Besitzlosigkeit und Gerechtigkeit für alle. Das ist doch auch Euer Ziel! Ihr zieht ohne einen Pfennig im Land umher, wie es Jesus getan hat. Ihr verachtet Wohlstand und Prunk, ja, Ihr gönnt Euch oft nicht einmal einen vollen Magen. Und was ist mit diesem Franziskus von Assisi? Dem der Papst erlaubt hat, einen neuen Orden zu gründen? Auch er fordert doch die Armut der Kirche! Und er sagt, dass die Menschen in der Nachfolge Christi besitzlos
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