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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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sonst hat er nichts dabei. In Brust und Bauch sind drei Messerstiche. Es stellt sich raus, dass es der Schwager des Schultheißen ist, ein reicher Metzger aus Erfurt, der zu Eisenach einen Besuch machen wollte, aber nie angekommen ist.
    Jetzt weiß ich, woher der Michel das Geld hat. Und die Mutter ahnt es natürlich, ganz blöd ist sie ja auch nicht.
    »Michel«, sagt sie, »schwör mir bei der Heiligen Dreifaltigkeit, dass du den Mann nicht umgebracht hast.«
    Das hat der Michel leicht schwören können, weil es der Ortwin war. Er selber hat nur den Kerl aus dem Sattel gezogen und das Pferd festgehalten. Darum hat er auch bloß ein Viertel vom Geld bekommen. Das hat er mir erzählt, und ich glaub’s ihm. Der Ortwin hat dann zu Waltershausen die Kleider und den Gaul verscherbelt, und sich seitdem ein bisschen unsichtbar gemacht, bis die größte Aufregung vorbei ist. Aber man kann ihm sowieso nichts beweisen, weil es gibt ja keine Zeugen, außer dem Michel, und der schweigt wie ein Grab, ist doch klar.
    Die Mutter sagt, der Michel muss beichten gehen, sonst kommt er in die Hölle. Ich sage, er soll’s lieber sein lassen, sicher ist sicher. Der Pfarrer ist nämlich der Onkel vom Schultheiß, und wer weiß, wie er es in diesem Fall hält mit dem Beichtgeheimnis. Für den ist vielleicht Blut doch dicker als Weihwasser. Und mir ist ein lebendiger Michel lieber als ein toter, auch wenn er dann im Himmel frohlockt und die Harfe spielt. Der Michel sieht das genauso. Beichten kann er ja später mal, wenn Gras über die Sache gewachsen ist. So setzt er sein Seelenheil aufs Spiel dafür, dass es uns allen bessergeht.
    Einen feineren Bruder hat niemand auf der ganzen Welt.

Waltershausen, Januar 1226
    E in eisiger Wind pfiff über die schneebedeckten Höhen des Thüringer Waldes. Er blies Wolken glitzernden Schneestaubs von den Baumspitzen, die sich schwer unter ihrer weißen Last bogen. Aus einem glasklaren Himmel schien kraftlos und bleich die Sonne, ohne Mensch und Tier spürbar Wärme zu spenden. Bitterkalt war es, Flüsse und Bäche trugen bläuliches Eis, der Boden war steinhart gefroren.
    Das kleine Grüppchen, das sich trotzig gegen die Sturmböen stemmte und sich mühsam seinen Weg durch den verschneiten Wald nach Norden bahnte, kam von Schmalkalden her. Es waren zwei Männer in langen schwarzen Umhängen, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, und ein dürres braunes Eselchen, das auf seinem Rücken mehrere Kisten und Säcke trug. Maul und Nüstern des Tieres waren schneeweiß, dort, wo sich der Atemdampf als Reif niederschlug. Ab und zu blieb es müde stehen, bis die Rute ihm schmerzhaft aufs Hinterteil klatschte.
    »Herr, lasst uns eine Rast machen«, bat der jüngere der beiden Männer, ein stämmiger Kerl mit kälteroter Nase und schiefstehenden Zähnen.
    »Wir rasten erst in Brotterode, Johannes«, erwiderte der andere. »Das muss gleich hinter der nächsten Biegung sein.«
    »Wie Ihr wollt, Magister«, seufzte Johannes und marschierte gottergeben weiter. Manchmal war sein Herr arg unerbittlich. Er begleitete ihn nun schon seit Jahren auf seinen Reisen durchs ganze Reich, und wenn der Mann nicht so heiligmäßig wäre, hätte er es längst nicht mehr mit ihm und seiner Strenge ausgehalten. Aber der Magister gönnte sich ja selber keine Ruhe und keine Annehmlichkeit; er opferte sich auf für die christliche Sache, Tag für Tag.
    Tatsächlich kam bald das Dorf am Fuß des Großen Inselbergs in Sicht. Nur wenige krumme, schneebedeckte Dächer kauerten sich unterhalb einer schäbigen Burg zusammen, die den Namen kaum verdiente. Aus den Schornsteinen rauchte es, und der Wind trug den verlockenden Duft von Eintopf herüber.
    »Zu klein für eine Predigt, was, Johannes?« Der Magister schüttelte betrübt den Kopf.
    »Wir wollen nur eine kurze Mahlzeit einnehmen, dann schaffen wir es heute noch nach Waltershausen.«
    Sie baten im nächstbesten Hof um Speis und Trank, was man ihnen als reisenden Geistlichen nie verweigerte. Danach machten sie sich gleich wieder auf. Südöstlich des Inselbergs kreuzten sie den Rennsteig, den uralten Kammweg über den bewaldeten Bergrücken, der den Thüringer Wald in Nord-Süd-Richtung durchschnitt. Kurz vor Sonnenuntergang erreichten sie endlich den Ort Waltershausen unterhalb der Tenneburg. Die kleine Festung war nach ihrer Zerstörung im staufisch-welfischen Krieg vor zwanzig Jahren längst wieder aufgebaut; sie fanden beim dortigen Vogt ein angenehmes Nachtquartier. Er versprach,

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