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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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kaum zu ertragen. Guda erbrach sich einmal mitten über einem Krankenbett, während sie eine alte Frau mit offenen Beinen und riesigen Geschwüren am ganzen Körper wusch. Seitdem durfte sie sich mit den leichteren Fällen abgeben, und Elisabeth übernahm die Kranken, die den meisten Ekel auslösten. Mit ihrem Schleier wischte sie ihnen Schleim und Auswurf ab, versorgte ihre Wunden, nahm sie in den Arm, wenn sie Schmerzen hatten. Es war nicht so, dass es Elisabeth leichtfiel. Auch sie kämpfte gegen die Übelkeit, litt unter den üblen Miasmen. Aber sie ertrug es mit Würde und Demut. »Auch Franziskus von Assisi hat Ekel vor den Siechen und Bresthaften empfunden. Dennoch übte er sich in Gehorsam und pflegte sie. Wie er, so will auch ich meinen Widerwillen bekämpfen und Gottes Auftrag erfüllen.« So sprach sie und wusch dabei die fauligen Hände der Aussätzigen. Wenn wir abends nach Hause kamen, verbreiteten wir den säuerlichen Geruch von Erbrochenem und Eiter. Das Gesinde ging uns geflissentlich aus dem Weg, bis wir uns mit Wasser und Seife saubergeschrubbt hatten. Dann nahmen wir unser einfaches Mahl ein und fielen todmüde in die Betten. Nur sonntags gingen wir nicht ins Spital, da kümmerte sich Elisabeth um ihre Kinder, wir gingen in die Messe und verbrachten unsere Zeit auf der Wartburg.
     
    Einmal, als ich in Eisenach einen großen Kupferkessel zum Suppenkochen kaufen wollte – der alte irdene Topf war geborsten –, traf ich meinen kleinen Freund, der in der Salzgasse herumlungerte. Er lehnte mit einem älteren bärtigen Mann an einer Hauswand; fast wäre ich an ihm vorbeigegangen. Aber er sah mich und rannte sofort zu mir her. »Das ist Jungfer Gislind, mein Engel, von dem ich dir erzählt hab«, erklärte er dem Mann, den er mir als Lutprant vorstellte. »Ohne sie hätten wir die letzten Wochen nicht überlebt. Zumindest das Irmel nicht.«
    Der Mann zog die löchrige Mütze vom Kopf und machte eine tiefe Verbeugung. »Ihr seid ein guter Mensch, Jungfer, und verdient den Lohn des Himmels. Und meinen Dank, denn die Kleine ist mein Kind.« Er hatte Tränen in den Augen.
    Ich strich Primus über den Kopf. Er hatte zwar Läuse, aber inzwischen machte mir auch das nichts mehr aus. »Bekommt ihr genug Korn ausgeteilt?«, fragte ich. Er nickte. »Es ist nicht grad viel, aber es reicht fürs Nötigste«, sagte er.
    »Und für die Aussaat hat der Kastner auch gesorgt«, meinte der Bärtige. »Er sollte sich allerdings auch drum kümmern, dass die Brauer vorher nicht alles Korn aufkaufen und dickes Bier draus machen. Dann haben wir zwar einen Haufen Besoffene, so wie jetzt, aber alle anderen hungern weiter.«
    »Dickes Bier?«, fragte ich. Von Bier hatte ich keine Ahnung, schließlich tranken wir auf der Burg nur Wein.
    »Na, Bier aus viel Getreide«, erklärte Primus siebengescheit. »Das ist stärker und macht schneller betrunken. Die Bierbrauer kaufen den Armen – zumindest denen, die blöd genug sind – ihren Teil Korn ab, seit der Kastner jedem sein Scheffel austeilt. Die haben dann zwar Geld, können aber kaum was zum Essen dafür kaufen, weil’s ja nichts gibt. Und die Brauer sind fein raus, weil sie für ihr Bier eine Menge Geld verlangen können.«
    Ich ärgerte mich. So war die Hilfe nicht gedacht. »Das muss anders werden«, sagte ich wütend. »Ich kümmere mich drum.«
    »Dann kümmert Euch auch drum, bitt gar schön, dass die Leute im Sommer das Korn auch ernten können, das sie ausgesät haben«, meinte der Bärtige. »Die Bauern haben nämlich wegen der Hungersnot sämtlich ihr Werkzeug versetzt. Alles, was sie eben hatten. Und eine eiserne Sichel kaufen, das kann sich jetzt keiner mehr leisten. Eisen ist teuer. Aber ohne Sicheln keine Ernte.«
    Liebe Güte, das waren alles Dinge, die wir nicht bedacht hatten. Wir hatten einfach geglaubt, mit dem Öffnen der Getreidespeicher sei alles getan. »Dank Euch, guter Mann, für Euren Rat«, erwiderte ich. »Ich will mein Möglichstes tun.«
    Am nächsten Tag erließ Elisabeth ein Verbot, dickes Bier zu brauen. Und wir beauftragten Schmiede in ganz Thüringen, einfache Sicheln herzustellen, die vor der Ernte an die Bauern verteilt werden sollten. Wir hatten noch viel zu lernen.
     
    Und endlich, am Tag vor Jacobi 1226 , kam Ludwig zurück. Der Sommer, dem Himmel sei Dank, war gut gewesen, und die Getreideernte hatte gerade begonnen. Auf seinem Weg nach Eisenach kam der Landgraf an Feldern vorbei, auf denen die Bauern die Garben banden. Überall

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