Die Tore des Himmels
wohl bekannt, die unser Land heimsucht. Die Menschen sterben überall hungers, es ist ein Elend ohnegleichen.«
Alle nickten. Natürlich wusste man das, und schließlich hatte jeder der Männer auch seine Eigengüter und seine Hintersassen, die litten.
»Ich habe deshalb beschlossen«, sprach die Landgräfin weiter und straffte den Rücken, »die herrschaftlichen Getreidespeicher öffnen zu lassen, um der Verzweiflung Abhilfe zu schaffen.«
Der Treffurter fuhr hoch. »Das ist nicht Euer Ernst!«
Elisabeth zuckte kurz zusammen, hielt seinem Blick aber stand. »Herr Heinrich, wir können nicht weiter das Korn horten, solange Kinder verhungern. Das sagt mir der Herrgott und mein Gewissen.«
»Und wir können nicht Getreide herausgeben, das für den Unterhalt der Hofhaltung und die Neuaussaat auf den landgräflichen Gütern gebraucht wird. Das sagt mir meine Vernunft«, entgegnete der Treffurter wütend.
Der Fahner mischte sich ein. »Er hat recht, Frau Elisabeth, das geht nicht. Wir können nicht das Unsrige herschenken, nur um ein paar Hungerleidern das Leben zu retten. Wir brauchen das Korn selber.«
»Aber im Gegensatz zu den ›Hungerleidern‹, wie Ihr sie nennt, haben wir genug Geld, um nach der nächsten Ernte aus fruchtbaren Gegenden Getreide zuzukaufen, aus Franken oder dem Wittelsbachischen«, warf Elisabeth ein.
»Geld?« Der Schlotheimer konnte es nicht fassen. »Wisst Ihr nicht, wie es um uns steht, Liebden? Seit den Tagen Eures Schwiegervaters, Gott möge ihm verzeihen, ist das Land völlig verschuldet! Euer Gatte zahlt Zinsen mit neuen Schulden zurück! Die Bauten überall verschlingen Unsummen, ob es die steinerne Brücke über die Werra ist oder die neuen Kemenaten auf der Neuenburg. Was glaubt Ihr, warum der Landgraf auf Kreuzzug gehen will? Weil ihm der Kaiser einen Haufen Geld für seine Teilnahme zahlt und weil jedem Kreuzfahrer für die Zeit seiner Abwesenheit alle Schulden gestundet werden. Herrgott, Ihr habt ja keine Ahnung!«
Elisabeth war blass geworden. »Ausgerechnet Ihr wagt es, so mit mir zu sprechen, Ritter von Schlotheim? Als mein Schwiegervater noch lebte, wart doch Ihr sein engster Berater! Die meisten Schulden wurden zu Eurer Zeit gemacht. Aber Ihr habt recht, die Bauten auf den herrschaftlichen Burgen müssen eingestellt werden. Das hat Zeit, bis das Elend vorbei ist.«
Der Schlotheimer war puterrot geworden, sagte aber nichts mehr. Stattdessen schaltete sich der junge Ludolf von Ballenstedt ein. »Wir wissen schon, Herrin«, sagte er, »dass Ihr zuallererst an die Not der Menschen denkt. Aber das Wohl des Landes ist wichtiger. Wir müssen das Unsere zusammenhalten, gerade jetzt, wo der Landgraf abwesend ist. Hungersnöte hat es immer gegeben, und – seien wir doch ehrlich – auf ein paar Bauern mehr oder weniger kommt es doch nicht an. Die, die übrig bleiben, vermehren sich in besseren Zeiten sowieso wie die Karnickel.«
Die Herren nickten beifällig, während Elisabeth ihre Abscheu kaum verbergen konnte. »So spricht kein Christ, Herr Ludolf.« Ihre Stimme zitterte vor verhaltenem Zorn. »Ihr alle«, wandte sie sich in die Runde, »habt genug. Ihr könnt geben, so wie es die Heilige Schrift verlangt. Ich will gern mit gutem Beispiel vorangehen und mein Silbergeschirr verkaufen«, sagte sie. »Und auch Ihr vom Adel habt genug Dinge von Wert, die Ihr wohl entbehren könnt. Und wenn es sein muss, dann kann ich jederzeit noch Ländereien aus meinem Witwengut in Hessen feilbieten, um Getreide zu kaufen.«
Heinrich von Ebersburg hatte sich schon bei den vorherigen Sätzen kaum noch zurückhalten können. Er brüllte fast. »Ihr wisst doch gar nicht, wovon Ihr redet, Frau Elisabeth. Ihr könnt nichts verkaufen. Ihr habt gar kein Recht, außer dem reinen Nießbrauch über Eure Ländereien zu verfügen. Sie gehören zum Ludowingerbesitz und fallen nach Eurem Tod wieder an die Familie zurück.«
»Vielleicht solltet Ihr einen schnellen Boten nach Cremona schicken«, versuchte Rudolf von Vargula einzulenken. »Euer Gatte weiß sicher guten Rat.«
»Und bis dahin sind wieder ganze Scharen verhungert.« Elisabeth ließ sich nicht von ihrem Entschluss abbringen. Sie würde diese Auseinandersetzung gewinnen. Trotzig ballte sie die Fäuste. »Derweil sind unsere Kornspeicher und Getreidekästen noch fast voll! Ganz gleich, was ihr sagt, ich werde …«
»Geht hinweg zu Eurem Spinnrocken, Weib«, unterbrach sie der Fahner wutentbrannt und drosch mit der Faust auf den Tisch. »Es
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