Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
Vom Netzwerk:
einem irren Lachen beide Hände wie eiserne Krallen um den Hals seines Sohnes und drückte mit aller Kraft zu. Ludwigs Augen traten aus den Höhlen, er wehrte sich verzweifelt, aber dem Landgrafen verlieh der Wahnsinn schier übermenschliche Kräfte. Ludwigs Lippen liefen blau an, seine Füße scharrten hilflos im Stroh. Und dann, endlich, war Raimund von Kaulberg zur Stelle. Mit der Kaltblütigkeit des erfahrenen Kämpfers trat er hinter seinen Herrn und bog ihm beide kleinen Finger ein Stück nach hinten, um den Würgegriff zu öffnen. Doch Hermann gab nicht auf, er drückte seinem Sohn weiter die Luft ab. Ludwig röchelte. Raimund sah, dass der Junge nicht mehr lange durchhalten würde. Es half nichts, er musste es zu Ende bringen. Mit aller Kraft bog er die Finger des Landgrafen weiter zurück, bis die Gelenke mit einem hässlichen Knacken brachen. Jetzt endlich ließ Hermann los, fiel auf die Knie und wälzte sich vor Schmerz heulend im Stroh, Rotz und Schleim liefen ihm aus Mund und Nase. Er wehrte sich nicht mehr, als vier Diener ihm aufhalfen und ihn mit sanfter Gewalt wegführten.
    Das Ganze hatte nur wenige Augenblicke gedauert.
     
    Entsetzen breitete sich im Saal aus. Stumm sahen die Gäste einander an, keiner wagte, etwas zu sagen. Nun war auch dem Letzten klar, dass der Landgraf wahnsinnig war. Der Teufel hatte sich seines Geistes bemächtigt. Es blieb nur noch eines zu tun.
     
    In der Arbeitsstube ihres Mannes versammelten sich nach Mitternacht die engsten Berater aus dem thüringischen Adel um Sophia, die kreidebleich und immer noch zitternd am Fenster stand und in die Nacht hinausstarrte.
    »Herrin«, sagte Rudolf von Vargula sanft, »es geht nicht mehr. Wir können so nicht weitermachen.«
    Sie drehte sich nicht um.
    »Er ist gefährlich für sich und andere«, fügte der von Schlotheim hinzu. »Ihr wart doch dabei! Wir müssen jetzt handeln.«
    Immer noch sagte die Landgräfin nichts.
    »Seht es doch ein, Frau Sophia. Er kann nicht mehr regieren.« Das war der Fahner. Er legte ihr die Hand auf die Schulter. »Wir müssen an das Land denken.«
    Da endlich erwachte sie aus ihrer Starre. »Und wenn er doch wieder gesund wird?«, fragte sie leise.
    Die Männer blickten sich an. »Glaubt Ihr wirklich daran?«, fragte Walter von Vargula zurück.
    Tränen schossen ihr in die Augen. Sie schüttelte den Kopf.
    »Wir müssen auch Schaden von seinem Ruf abwenden, Herrin«, fuhr der von Vargula fort. »Je länger ihn die Leute so sehen, desto mehr Gerüchte gehen um. Man sagt ja schon, er sei …« Er brach ab.
    »… vom Teufel besessen, ich weiß.« Müde wischte sich Sophia über die nasse Wange und ließ sich auf einen Scherenstuhl sinken. Sie atmete einmal tief durch, dann straffte sich ihr Rücken.
    »Lasst den Landgrafen in seinem Gemach einschließen und stellt Wachen davor auf. Ein Diener soll sich vor der Tür bereithalten, damit es meinem Gatten an nichts mangelt. Und dann: Schickt einen Boten an den König und lasst ihn berichten, der Landgraf werde zu Neujahr Krone und Siegel Thüringens an seinen ältesten Sohn übergeben.« Sie stand auf. »Und sagt die Wildschweinjagd für übermorgen ab. Es ist jetzt nicht die Zeit für Lustbarkeiten.«
    Rudolf von Vargula trat zu Sophia. »Vergebt mir, Herrin, aber das wäre ein Fehler. Ihr wisst selber, dass sich die Wildschweine um Eisenach herum in diesem Jahr zur Plage ausgewachsen haben. Und es gehört zu den Verpflichtungen des Adels, seinen Hintersassen durch Abjagen des Schadwilds Erleichterung zu verschaffen. Wenn wir übermorgen nicht ausreiten, wird das im Volk zu Unruhe führen. Man wird sich fragen, warum. Wir sollten den Schein noch so lange wahren, bis Hermann öffentlich die Macht übernommen hat.«
    Die Landgräfin hob in einer hilflosen Geste die Arme. »Tut, wie es Euch beliebt, Herr Rudolf.« Das Leben musste schließlich weitergehen.

Im Wald bei Eisenach, zwei Tage später
    E s war Stephani, ein herrlicher, gleißendheller Wintertag. Glasigblau spannte sich der Himmel über schneebezuckerten Hügeln, die Kälte hatte glitzerndes Eis über Bäume und Büsche, Wiesen und Felder gezaubert. Der Wald stand dunkel und ruhig, bis die Stimmen und Rufe der Jagdgesellschaft die Stille durchbrachen. Ein Schwarm Raben, der sich im Geäst einer riesigen Eiche niedergelassen hatte, fühlte sich vom lauten Gekläff der Hundemeute gestört und flog mit knatternden Flügeln auf.
    Man hatte sich in acht Gruppen geteilt; jede war mit einer Handvoll

Weitere Kostenlose Bücher