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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Hermanns Oberschenkel, dann ein Ruck, ein Quieken, ein Schrei. Der Keiler rappelte sich taumelnd auf und versuchte fortzukommen, aber dann war schon der von Furra zur Stelle und rammte ihm seine Saufeder tief in den Nacken. Wie vom Blitz gefällt brach das Tier zusammen, scharrte noch ein paarmal mit den Hufen, dann war alles vorbei.
    Hermann lag zusammengekrümmt am Boden und hielt sich mit beiden Händen das Bein. Der rechte Oberschenkel war von den messerscharfen Hauern des Keilers fast eine Spanne lang aufgerissen.
    »Heilige Maria Muttergottes!« Friedrich von Treffurt stürzte herbei, um den Blutfluss zu stoppen; er riss seinen Hemdsärmel ab und presste ihn auf die Wunde. Die anderen sahen wortlos zu. Das Entsetzen stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Hermann heulte auf und krümmte sich vor Schmerzen.
    Ludwig konnte nicht fassen, was geschehen war. Leichenblass stand er da, den unbenutzten Spieß noch in der Hand. Herr Jesus, es war seine Schuld. Nie, niemals hätte das geschehen dürfen. Warum nur hatte er nicht gesagt, dass er den letzten Stich ins Herz des Keilers vergessen hatte? Niemals hätte er seinen Bruder so an das Tier heranlassen dürfen. Man wusste doch, wie brandgefährlich verletzte Keiler sein konnten. Aber er, er hatte sich vor den anderen nicht lächerlich machen wollen. Und jetzt lag Hermann da, schwer verletzt.
    »O Gott, Hermann«, stöhnte er auf. Tränen liefen ihm über die Wangen. »Das ist alles meine Schuld!«
    Der Verletzte brachte ein schwaches Grinsen zustande. »Ist nicht so schlimm, Bruderherz«, presste er hervor, »das heilt schon wieder.«
     
    Es heilte nicht. Man hatte Hermann auf einer Trage zurück in den Steinhof gebracht, und der landgräfliche Medicus hatte die Verletzung sorgfältig mit Wein ausgewaschen und vernäht. Zu Anfang sah alles gut aus, doch dann kam das Fieber. Die Wunde eiterte. Am vierten Tag begann Hermann zu phantasieren. Keine Gebete halfen und keine ärztliche Kunst. Der älteste Landgrafensohn starb am letzten Tag des Jahres 1216 .
    Ludwig schloss sich in einer Kammer des Südflügels ein und wünschte sich, er wäre nie geboren.

Primus
    D ie Geburt vom Jesulein muss man anständig begehen, sagt Mutter. Also laufen wir den ganzen weiten Weg von daheim nach Eisenach und besuchen die Messe. Das ist schön feierlich, bis auf die Stellen, wo Michel plärrt. Es riecht wundergut nach Weihrauch. Das ist das Geschenk, was die Heiligen drei Könige dem Jesulein gebracht haben, und sie haben es in der Kirche heute auch. Ich glaube, das Jesulein hätte sich vielleicht über eine warme Decke mehr gefreut, weil dann hätte es in der bitterkalten Nacht in Bethlehem im Stall nicht so frieren müssen. Aber Mutter sagt, eine Decke, pah, das soll wohl eine rechte Gabe für den König der Welt sein? Dem gebührt Weihrauch und Gold und Myrrhe. Ich frage sie, was Myrrhe ist, und sie meint, es muss wohl auch so was wie Gold oder Silber sein, ein Geschenk für die Reichen eben. Auf dem Heimweg singen wir Lieder, und als wir auf dem Hof ankommen, ist es fast Nacht.
    Die nächsten Tage sind still. Man darf in der Zeit zwischen Weihnachten und dem neuen Jahr keine Wäsche waschen, sagt Mutter, weil sonst liegt bald einer im Leichentuch. Es gibt auch nichts zu arbeiten für den Vater, außer den Rechen heil machen und die Tür am Schuppen in Ordnung bringen. Einmal hören wir eine ordentliche Bellerei und dann noch Stimmen. Der Vater stapft den Weg ein Stück entlang und schaut nach, und als er wiederkommt, sagt er: »Die da droben gehen auf Jagd!« Er sagt immer ›die da droben‹ und rollt dabei mit den Augen, wenn er welche vom Adel meint. Die kann er nämlich nicht ausstehen. Aber diesmal freut er sich. »Ha, das ist gut, immer drauf auf die Scheißviecher.« Die Wildsäue, erklärt er, brechen nämlich in die Felder ein und zerwühlen alles und fressen den armen Leuten alles weg, und die Rehe kommen dauernd in die eingezäunten Gemüsegärten. Nur das Beste schnabulieren die, junge Triebe, die feinsten Blättchen, die kleinsten Böhnchen und Erbsschoten. »Vater, warum jagen wir die Scheißviecher nicht?«, frage ich. »Weil bloß die da droben das Jagdrecht haben«, sagt er. »Alles Wild gehört dem Landgrafen. Wenn einer von uns erwischt wird beim Wildern, den hängen sie am nächsten Baum auf.«
    »Das dürfen die so einfach?«
    Vater grunzt. »Da kannst du einen drauf lassen«, sagt er.
    »Warum?«
    Mutter mischt sich ein. »Weil der liebe Gott die Welt so gemacht

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