Die Tore des Himmels
hat«, sagt sie und strubbelt mir durchs Haar. Das leuchtet mir ein, weil der liebe Gott und das Jesulein sind ja die Könige der Welt, das hat jedenfalls der Pfarrer gesagt. Und als König ist man auch von Adel. Die beiden helfen halt zu ihresgleichen und nicht zu uns.
Kurz vor Neujahr nimmt mich Vater mit in den Wald, Reisig sammeln. Er trägt einen großen Korb auf dem Rücken und hat Schnur dabei, damit wir Bündel machen können. Kalt ist es, und die Lumpen, die Mutter um meine Füße gebunden hat, helfen nicht viel. Meine Zehen sind eisig, aber ich freue mich auf das Feuer, das wir später daheim machen können.
»Das wird noch ein schlimmer Winter«, sagt Vater. »Kalt und lang, ich spür’s in meinen Knochen. Der alte Schäfer-Friedel hat’s auch gesagt.«
Ich mag den Winter nicht. Den ganzen Tag frieren ist blöd. Und Reisig sammeln ist auch blöd. Ich bleibe einfach stehen, lasse Spucke in den Schnee tropfen und schaue zu, wie sie ein kleines Loch macht. Da höre ich den Vater rufen. Schnell renne ich zu ihm hin, und dann muss ich vor lauter Schreck Mund und Augen aufsperren. Etwas Großes, Dunkles liegt im zertrampelten Schnee, und überall ist Blut. Vater beugt sich über das schwarze Ding, zupft an seinem kaputten Ohr und sagt ungläubig: »Der ist von der Jagd neulich. Das gibt’s doch gar nicht. Die müssen ihn vergessen haben.«
»Wen?«, frage ich.
»Na, den Keiler. Schau, hier haben sie ihn mit dem Spieß erwischt, und da.«
»Ist der tot?«, frage ich.
Vater lacht. »Toter geht’s nicht. Und gefroren.«
Ich weiß nicht, warum Vater auf einmal so fröhlich ist. »Das wird doch noch ein guter Winter«, sagt er.
Noch am selben Tag haben die Eltern den Keiler an Seilen heimgeschleift, das war eine Schufterei, weil er so groß und schwer war. Gleich neben der Holzlege haben sie ein großes Feuer geschürt, damit er nicht mehr so hart gefroren war, und ihm das Fell abgezogen. So viel Fleisch! Mit dem Beil hat Vater dann alles in Stücke gehauen und das meiste wieder in Schnee gepackt. Einen großen Batzen hat er aber mit ins Haus gebracht. Und dann hat Mutter Stücke daraus geschnitten und auf Spieße gesteckt und im Feuer gebraten. Jetzt sitzen wir an unserem wackligen Tisch. Ich habe noch nie frisches Fleisch von einem so großen Tier gegessen, bloß von Igeln oder Spatzen oder einmal einem Huhn. Es schmeckt so gut, zum Verrücktwerden gut. Das Fett tropft mir von den Fingern und läuft mir übers Kinn, und wir essen und lachen und essen und lachen. »Jetzt wollen wir in Saus und Braus leben bis zum Frühjahr«, ruft Vater. »Wir machen Würste und Salzfleisch und Sülze und Räucherspeck.«
Ich lausche dem Klang dieser Worte nach und bin glücklich. Hei, das wird ein Leben!
»Du darfst zu niemandem ein Sterbenswörtchen sagen, Primus, hörst du?« Vater sieht mir ganz fest in die Augen. Ich schüttle den Kopf. Ich bin ja nicht dumm. Erstens, wem soll ich es denn sagen, zu uns kommt ja nie einer. Und dann würde derjenige bestimmt was abhaben wollen.
Gisa
H errjesus, das war eine schlimme Zeit. Keiner am Hof hatte Hermann besonders gemocht, aber wer hätte ihm schon den Tod gewünscht? Sophia war nur noch ein Schatten ihrer selbst, das alles war einfach zu viel für sie. Wir Kinder waren bedrückt, die vom Adel niedergeschlagen, und das Gesinde tat nur noch stumm und still seine Arbeit.
Elisabeth befand sich damals in einem schrecklichen Zwiespalt der Gefühle. »Ach Gisa«, sagte sie zu mir, »ich getrau mich’s gar nicht zu sagen, aber ich bin so froh! Jetzt muss ich nicht mehr seine Frau werden. Jeden Abend hab ich den lieben Gott angefleht. Mach, dass Hermann eine andere nimmt, hab ich gebetet. Mach, dass er mich nicht will. Mach irgendetwas, damit ich nicht unglücklich werde. Und jetzt ist Hermann tot. Bin ich schuld? Hat Gott mich erhört?«
»Ich glaube nicht, dass der liebe Gott um deinetwillen einen Menschen sterben lässt«, erwiderte ich. »Es war ein Jagdunfall. Du musst dir keine Vorwürfe machen.«
»Ich weiß nicht. Ich habe ein solch schlechtes Gewissen.«
Ich drückte ihre Hand. »Ich kann gut verstehen, dass du jetzt erleichtert bist. Ich hätte Hermann nicht um alles in der Welt heiraten wollen.«
Sie seufzte. »Was soll aber jetzt aus mir werden? Mein Bräutigam ist tot. Ja, ich bin froh – aber ich hab auch Angst. Bis jetzt hab ich immer gewusst, was mir die Zukunft bringt. Und nun fühl ich mich wie … wie ein Blatt im Wind.«
Ich konnte es ihr
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