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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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angeschlagen, keine Medizin geholfen. Nicht die Kräutertränke und nicht die zermörserten, getrockneten jungen Schwalben, kein Purgieren und kein Aderlass. Schon war die Kunde von Hermanns Krankheit im ganzen Land umgegangen. In allen Kirchen Thüringens wurden Bittgottesdienste für des Landgrafen baldige Genesung abgehalten.
    Trotz aller dunklen Schatten, die über der Wartburg lagen, hoffte Sophia, die Dinge würden sich zum Besseren wenden. Musik und Gedichte hatten ihren Gatten immer erfreut – vielleicht würde ihn ein kurzweiliger Abend aus seinem Zustand herausreißen. So hatte die Landgräfin nicht nur die Herren Wolfram und Walther geladen, die ohnehin fast das ganze Jahr am Hof lebten, sondern auch weitere Künstler, Tänzer, Musiker und Spaßmacher, sogar einen Tierbändiger mit seinem Bären. Und natürlich mussten alle da sein: die Fahner und die Schlotheimer, die von Eckardsberga, die Treffurter und die Vargula-Brüder, alle mit ihren Familien. Dazu die Burggrafen von Wartberg, die Arnsburger und Ebersburger, die von Furra und Gudensberg, die Nebra und Spatenburg, Heßler, Haldecke, Alsfeld und wie sie alle hießen. Edelfreie, Ministerialen und Vasallen.
    Und alle waren sie gekommen, in ihren vornehmsten Hofgewändern und mit sämtlichen Abzeichen ihrer Würde. Die herrlich bunten Farben blendeten einem fast die Augen, und für das Pelzwerk, das an diesem Abend zur Schau gestellt wurde, hatte wohl die Tierwelt eines ganzen Waldes dran glauben müssen. Den schönsten Mantel, gefüttert mit Feh und außen mit rotbraunen Fuchsschwänzen besetzt, trug Hermann von Schlotheim, der Truchsess, der nun mit seinem Stab dreimal aufklopfte. Die Anfangsgespräche der Gesellschaft erstarben, und alle erhoben sich. Zwei Diener öffneten die Türflügel, und herein kam das Landgrafenpaar, gefolgt von sämtlichen Kindern. Sophia trug ein zimtfarbenes Winterkleid aus schwerem Damast und ein dazu passendes Gebende; ein mit goldenen Lilien besticktes Schapel verbarg die Sorgenfalten, die sich in den letzten Monaten auf ihrer Stirn gebildet hatten. Ihr Umhang aus weißem Hermelin fegte raschelnd über das Stroh, während sie durch den Saal schritt. Neben ihr ging der Landgraf, ganz in Rostbraun mit einem Wolfsfell um die Schultern. Ein Barett mit einer seltenen Straußenfeder saß keck auf seinem schütteren Haar, und der Gürtel, der ihm um Bauch und Hüften hing, mochte gut und gern anderthalb Pfund Silber wiegen. Sophia lächelte und grüßte nach allen Seiten, während Hermann mit unbeweglicher Miene geradeaus starrte. Wer darauf achtete, konnte die weißen Fingerknöchel der Landgräfin sehen, so fest war ihr Griff um die Hand des Gatten. Beide ließen sich zusammen auf den Ehrenplätzen der Tafel nieder. Sophia zog den widerstrebenden Ludwig auf den Platz neben seinem Vater und nickte ihm aufmunternd zu. Die Anspannung in der landgräflichen Familie war fast mit Händen zu greifen. Alle Gesichter waren ernst; jeder achtete darauf, ja nichts falsch zu machen. Dieser Abend war so wichtig. Er musste einfach gelingen!
    Der Truchsess klopfte ein zweites Mal auf, und das Mahl begann. Zwei Dutzend Aufwarter trugen Doppelschüsseln mit Wildpret auf, Platten mit Rindfleisch und Hammelkarbonaden, Näpfe mit Sülzen, Wachtel- und Hühnerspieße, Gesottenes und Gebratenes, bis sich die Tische bogen. Das Essen war nur noch lauwarm, denn wie überall war der Weg von der Küche bis in den Saal weit – die Burgküchen lagen wegen der Feuergefahr stets möglichst weit weg von den Wohngemächern. Aber so konnte man auch besser zugreifen, ohne sich die Finger zu verbrennen. Mit einer tiefen Verbeugung nahm der Truchsess, wie es von alters her seine Aufgabe war, die erste Fleischschüssel von einem der Aufwarter in Empfang und stellte sie mit elegantem Schwung vor den Landgrafen hin. Hermann dankte mit einem müden Winken der linken Hand. Kindskopfgroße Pokale mit Wein machten die Runde an der Tafel, einer so viel wert wie zehn Tagwerk Land. Rudolf von Vargula kam seinem Hofamt als Mundschenk mit größter Aufmerksamkeit nach. Die Musiker spielten derweil auf Rotte und Zinke, Schalmei und Trommel lustige Melodien, Trink- und Tanzlieder erklangen, und die Stimmung der Gäste wurde langsam gelöster. Man warf immer weniger verstohlene Blicke auf den Landgrafen, der sich zwar kaum am Gespräch beteiligte, aber dem Wein ordentlich zusprach und sich von seiner Frau, wie es bei solchen Anlässen Sitte war, das Fleisch bissenweise in

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