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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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den Mund schieben ließ. Ein Gaukler im Narrengewand hüpfte mit wilden Sprüngen im Zickzack um die Tafelnden, ein Joglar wirbelte erst drei Äpfel in der Luft herum und dann zum Gaudium aller rohe Eier, von denen er eines wie zufällig in den tiefen Ausschnitt einer kreischenden Hofjungfer fallen ließ. An den Gesindetischen begann man übermütig, Rinnen in die Tischplatten zu schnitzen und darin Bier entlanglaufen zu lassen, bis der Truchsess kam und die Übeltäter zur Ordnung rief. Die unvermeidlichen Hunde, denen es immer gelang, zu den Mahlzeiten in den Saal zu schleichen, balgten sich um die Knochen und Fleischabfälle, die jedermann einfach hinter sich warf. Kurzum, alle genossen eines der rauschenden Feste, für die der Landgrafenhof weithin berühmt war.
    Der zweite und der dritte Gang der Aufwarter bescherten Fischgerichte und Eierspeisen, und der vierte Gang brachte Platten mit süßen Torten und Pasteten, eingemachten Früchten und Zuckerwerk. Sophia stand nun auf, klatschte in die Hände und rief: »Und nun, ihr guten Herren und edlen Frauen, wollen wir unsere hochverehrten und weitberühmten Dichter, Herrn Walther von der Vogelweide und Herrn Wolfram von Eschenbach bitten, uns das Vergnügen ihres Vortrags nicht länger vorzuenthalten.«
    Unter dem Beifall der ganzen Gesellschaft standen die beiden altgedienten Wortkünstler auf und lieferten sich ein rasches Scheingefecht darum, wer den Anfang machen sollte. Walther von der Vogelweide obsiegte in dem witzigen Streit und stellte sich mit seiner Laute neben dem Kerzenleuchter in Positur. Der gefeierte Poet war in den letzten Jahren recht alt geworden, sein dunkelblondes Haar war inzwischen steingrau und sein Bäuchlein zu einem mächtigen Bauch angewachsen. Wenn er lachte, entblößte er eine erkleckliche Anzahl Zahnlücken. Doch dies alles vergaß man, sobald er anfing zu singen. Er wählte ein beliebtes Maienlied:
    »Was wir wagen will gelingen
    in der Maienzeit,
    lasst uns tanzen, lachen, springen,
    doch mit Artigkeit.
    Wer wäre wohl nicht froh,
    wenn die Stare, Finken, Meisen
    proben ihre besten Weisen?
    Tun wir auch also!
    Wohl dir, Mai, der du entscheidest
    alles ohne Hass.
    Wie du Wald und Aue kleidest
    licht mit Laub und Gras.
    War es bunter je?
    ›Du ein kurzer, ich ein langer‹
    eifern Halme auf dem Anger,
    Blumen und auch Klee …«
    Walthers Stimme klang warm und klar durch den Saal und weckte noch im letzten Gast Frühjahrssehnsüchte. Bei seinem zweiten Lied, einer Liebesweise, begleitete ihn Wolfram von Eschenbach auf der Harfe, und dann übernahm der fränkische Sänger. Lächelnd breitete er die Arme aus.
    »Ich will Euch, hohe Herrschaften, heute ein neues Lied zum Vortrage bringen, das ich eben erst vollendet habe. Es handelt von der treuen Liebe eines Weibes, das …«
    Ein merkwürdiges, tiefes Stöhnen ließ den Eschenbacher verstummen. Alle Köpfe fuhren herum, die Leute blickten voller Entsetzen auf den Fürstentisch. Dort saß der Landgraf, beide Hände an die Schläfen gedrückt. Er gab leise, gedehnte Klagelaute von sich wie ein verwundetes Tier. Plötzlich holte er mit dem ganzen Oberkörper aus und schlug mit Wucht seinen Kopf auf die Tischplatte. Dann noch einmal, und wieder und wieder. Seine Stirn platzte auf, dunkelrotes Blut lief ihm über die Augen. Sophia war wie zu Stein erstarrt, ihre Hände krampften sich ins Tischtuch. Ein Gurgeln kam aus des Markgrafen Kehle, als er seinen Kopf in den Nacken legte und neuen Schwung holte.
    Da endlich sprang der sechzehnjährige Ludwig auf und packte seinen Vater von hinten an den Schultern. Der Schlotheimer und der von Eckardsberga stürzten herbei und versuchten, den Landgrafen zu beruhigen, doch der riss sich mit einem wilden Fluch von allen Händen los. Unter Gebrüll und Geheul fegte er Schüsseln und Pokale von der Tafel, dann zerrte er das Tischtuch mit einem Ruck weg, mitsamt allem, was auf der Fürstentafel stand. Sophia sprang mit einem lauten Schrei auf, die Hände gegen die Schläfen gepresst; eine ihrer Damen zog sie von dem Tobenden fort.
    Hermann wehrte sich mit aller Kraft gegen die Männer, die ihn festhalten wollten. Das Blut lief ihm über Gesicht und Hals, während er kämpfte wie ein Rasender. Schaum trat ihm vor den Mund. Es gelang ihm, den Eckardsberga wegzuschleudern und den von Schlotheim in den Bauch zu treten, der Truchsess krümmte sich auf dem Boden. Ludwig hing ihm am Arm, schrie: »Vater, Vater, ich bin’s doch!«
    Da legte der Landgraf mit

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