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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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eingenickt war, schrak kurz hoch und schnarchte weiter, während Elisabeth wie von Furien gejagt durch den Gang rannte, die Treppen hinunter und hinaus in den Hof. Vor der Geißblatthecke beim alten Brunnenhaus ging sie auf Hände und Knie und erbrach sich, bis die grüne Galle kam.
     
    Isentrud von Hörselgau konnte nicht schlafen. Vielleicht lag es am Vollmond, vielleicht auch daran, dass es mit dem Ungeziefer heute wieder besonders arg war, obwohl die Pfosten ihres Betts in wassergefüllten Tontöpfen standen und der leinerne Betthimmel keine Löcher hatte. Mit einem kleinen Seufzer wälzte sich Isentrud aus den Kissen, tappte auf den Gang hinaus zum Privet. Welch ein Luxus doch auf der Neuenburg herrschte: Es gab einen Doppelabtritt, der unten durchgespült werden konnte. Wenn man bei Regen eine Klappe öffnete, floss alles Wasser durch, das sich im Burghof sammelte, und nahm den Unflat mit sich. Wie schäbig kam einem da die eigene kleine Burg vor, in der das höchste allen Komforts ein rußiger Eckkamin war, bei dem es im Winter den Rauch hereindrückte.
    Der Türknecht vor dem Frauenzimmer hob grüßend die Lanze, als sie an ihm vorbeiging. Er kannte diejenigen unter den Frauen, die keinen guten Nachtschlaf hatten, und wusste, dass die Hörselgauerin nur ein wenig frische Luft schnappen wollte und bald wiederkommen würde. Mit müdem Blick sah er ihr nach, wie sie um die Ecke bog.
    Isentrud fröstelte und schlug das Wolltuch fest um die Schultern. Mit hochgezogenen Schultern trat sie in den mondbeschienenen Hof hinaus, hielt die Nase in die Luft und schnupperte. Der Duft des Geißblatts war süß und schwer, wie ein unsichtbarer Schleier umhüllte er sanft die Gestalt der Hörselgauerin. Irgendwo schrie ein Käuzchen, fünfmal, sechsmal, dann war es still. Über der alten Linde stand rund und fett der gelbe Mond. Isentrud sah zum Palas hinüber, wo hinter einem der Fenster noch Licht flackerte. Dort waren die Räume für die Männer vom Adel, auch ihr Ehemann schlief dort – wenn er nicht grade bei einer der Küchenmägde lag. Oh, ihr war das ganz gleich, solange er sie nicht mehr behelligte. Aber seit der Geburt ihres zweiten Sohnes vor neun Jahren war das Gott sei Dank vorbei. Sie atmete tief durch, sog genüsslich die feuchte Nachtluft in ihre Lungen, genoss es, alleine zu sein. Alleine? Da war doch noch jemand? Oder hatte sie sich verhört? Von irgendwoher kam leises Weinen, wie von einem Kind. Ganz herzzerreißend klang das, so recht verzweifelt und jammervoll. Isentruds mütterliches Herz regte sich sofort. Barfuß überquerte sie den Hof, ging am Brunnenhaus vorbei auf die Linde zu. Und tatsächlich, am rauen Stamm, im Schatten des Mondlichts, kauerte eine Gestalt. Sie hatte die Knie angezogen und die Arme um sich geschlungen, als wolle sie sich selber Halt geben. Eine der Hofjungfern, dachte Isentrud und ging neben ihr in die Hocke. Sie nahm das Mädchen in den Arm, es wehrte sich nicht, lehnte den Kopf an ihre Schulter und weinte leise weiter. »Schscht«, machte Isentrud, »schscht, Kleine, ist doch alles gut, ich bin ja da.« Und im gleichen Moment erkannte sie, wen sie da im Arm hielt. »Ach du liebe Güte, Hoheit, verzeiht, ich hab im Dunkeln nicht gesehen, dass Ihr es seid.«
    Elisabeth schluchzte laut auf, und die Hörselgauerin spürte, wie sich die Landgräfin von Thüringen an sie klammerte. Was war nur geschehen? Bestimmt ein Ehestreit, dachte Isentrud, ha, das kannte man ja. Das arme junge Ding. »Wollt Ihr mir erzählen, Liebden, was Euch bedrückt?«, fragte sie vorsichtig.
    Elisabeth schüttelte wild den Kopf und weinte nur noch mehr.
    »Ihr müsst nicht, wenn Ihr nicht wollt«, meinte Isentrud gutmütig. »Weint ruhig, das tut immer gut.« Sie überlegte, wie sie am besten trösten konnte, und sprach dann leise weiter. »Ei, als ich frisch verheiratet war, hatte ich auch nichts zu lachen, weiß Gott. Nur dass ich nicht im Burghof saß, sondern in der Vorratskammer hockte, bei den Mehlsäcken. Und den Mäusen.« Sie kicherte. »Bis zum Morgengrauen blieb ich oft da. Dann musste ich wieder zurück, damit niemand merkte, wie es um uns stand. Ja, so war das.«
    Elisabeth hatte aufgehört zu schluchzen. Sie ließ zu, dass Isentrud ihr mit dem Zipfel des Wolltuchs die Tränen abwischte. »Ihr seid die von Hörselgau, nicht wahr?«, sagte sie und schniefte.
    Isentrud nickte. »Ja, und Ihr braucht Euch keine Sorgen zu machen. Ich werde niemandem erzählen, dass ich Euch hier gefunden habe.

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