Die Tore des Himmels
Er macht ihn los, und als die erste Ratte hinten an der Wand entlanghuscht, schießt der Hund hin, als sei der Leibhaftige in ihn gefahren. So schnell können wir gar nicht schauen, hat er das Vieh und schüttelt es und beißt es tot, unter Knurren und Winseln. »Hat man je so was schon erlebt?«, sagt die Mutter. Wir sind begeistert. »Dürfen wir den behalten?«, fragt Ida, und Lutprant nickt.
Wir nennen ihn Ratz. Seit er da ist, gibt’s keine Rattensuppe mehr, weil er alle frisst. Zu uns kommen schon Leute, um zuzuschauen, wie er die Viecher fängt. In ganz Eisenach hat sich herumgesprochen, was unser Hund für ein Teufelskerl ist. Wir sind stolz und haben ihn alle furchtbar gern. Das Hannolein darf ihn sogar am Schwanz durch den ganzen Keller ziehen, das lässt er sich gefallen. Nachts schläft er bei uns im Bett, und wehe, ein Rattenvieh will über uns drübertrappeln! Bloß, dass er schnarcht, aber wie! Und oft knurrt er auch im Schlaf und scharrt mit den Füßen. Ich glaube, er jagt sogar im Traum noch Ratten.
Die Mutter geht jetzt nachts manchmal weg. Ich wache jedes Mal auf, wenn sie leise aufsteht und die Treppe hinaufsteigt. Dann höre ich zu, wie sie’s droben treiben. Inzwischen kenne ich mich nämlich aus mit allem, der Ortwin hat mich einmal mitgenommen, in den Mühlgraben zu den Winkelhuren, zum Zuschauen. Und wenn die Mutter nachts weg war, finden wir meistens am nächsten Tag ein paar Eier oder einen Krautskopf oder zwei, drei alte Wecken auf dem Tisch.
Im Steinhof ist schon lang nichts mehr los. Bald nach der großen Hochzeit mit der Dunklen ist der Landgraf mit seinen Leuten weitergezogen. Das trifft die Bettler und die Armen ganz schön hart, weil ohne die Dunkle, jetzt muss ich ja sagen: Landgräfin, gibt’s keine Almosen mehr, außer von der Kirche. Uns macht das ja weniger aus, weil mit Ortwins Haufen findet sich immer was zu klauen, wir kommen schon zurecht. Michel ist inzwischen ganz dick mit Ortwin, und er stellt sich fast besser an als ich. Letzthin hat er einem Fischhändler unter den Augen einen Karpfen weggeklaut. Ich bin nicht schlecht im Taschengreifen, ein bisschen was kommt schon zusammen jeden Tag. Na ja, das brauchen wir auch, weil wir haben ja gar kein Geld mehr, und von irgendwas müssen wir doch leben.
An Pfingsten haben wir dann wieder einen großen Fang gemacht. Ein Zug vornehmer Leute ist in die Stadt eingeritten; zuerst dachten wir, der Hof kommt zurück. Aber dann war es nur die alte Landgräfin mit Gefolge. Sie besuchten erst den Gottesdienst und ritten dann ins Katharinenkloster. Der Pfarrer sagt, die Landgräfinmutter tritt bei den Zisterzienserfrauen ein, weil sich das bei »denen da droben« so gehört, wenn der Sohn heiratet. Das verlangt die Sitte, erklärt er. Und der alte Landgraf hätte das Kloster auch deshalb vor ein paar Jahren gestiftet. Aber die Leute munkeln, dass die alte Schnepfe zu den Nonnen wollte, weil sie sich mit der Dunklen nicht versteht. Na, mir kann’s recht sein. Jedenfalls hab ich auf die Art und Weise eine Messingschnalle vom Sattel einer ihrer Hofdamen abschneiden können, die beim Pfandleiher einen Haufen Geld gebracht hat.
Immer wieder muss ich an die alte Wahrsagerin von damals denken. Das mit dem Engel, das hat ja schon gestimmt. Aber was sie sonst noch gesagt hat, das mit dem Bösen. Hat sie damit die ganze Klauerei gemeint?
Neuenburg, Frühsommer 1221
» E s geht nicht. Ich kann es einfach nicht, Gott straf mich.« Ludwig rollte sich auf den Rücken und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Es war einfach hoffnungslos. Je mehr er sich bemühte, desto weniger gehorchte ihm sein Körper.
Elisabeth setzte sich auf. Auch sie war den Tränen nahe. So oft hatten sie es versucht. Immer wieder und wieder. Anfangs hatte sie seine Berührungen noch genossen, aber dann war auch sie immer verkrampfter und unsicherer geworden. Warum nur lag kein Segen auf ihrer Verbindung? Wofür strafte sie der Herr? Was machte Ludwig falsch? Oder lag es doch nicht an ihm, sondern an ihr? Es war zum Verzweifeln. Und am Hof wartete alles darauf, dass sie endlich verkündete, sie sei guter Hoffnung. Sie sah zu Ludwig hinüber, der immer noch mit geschlossenen Augen dalag. Sie wollte ihn trösten, wie so oft, wollte ihm sagen, dass sie ihm nicht böse war, dass sie ihn trotz allem liebte, dass es nicht seine Schuld sei. Stattdessen sagte sie: »Was machen wir jetzt?«
Er barg das Gesicht in den Händen. »Ich weiß es nicht. Ich bin verflucht.«
»Sag
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