Die Tore des Himmels
so etwas nicht.« Elisabeth schmiegte sich an ihn. Und da war er wieder, dieser böse Gedanke, der sich in letzter Zeit immer wieder in ihren Kopf geschlichen und ihr die Ruhe geraubt hatte. Wie ein winziger Wurm hatte er sich in ihr Hirn gebohrt, wo er nagte und fraß. Sie musste die Frage stellen. »Bruder«, flüsterte sie und ihre Wangen brannten dabei vor Scham, »liegt es daran, dass du … dass du … nur mit Knaben …?«
Er fuhr hoch. »Du auch? Du glaubst das auch, ja?« Er lachte, ein freudloses, heiseres Lachen. »Ich weiß, dass alle darüber reden, hinter vorgehaltener Hand. Der Landgraf ist geil auf hübsche Knabenschenkel. Der Landgraf hält gern seinen Arsch hin. Der Landgraf nimmt lieber einen Männerschwanz in die Hand als das Schwert. Oh, ich weiß das alles.« Er nahm Elisabeths Gesicht und zwang sie, ihn anzusehen. Seine Augen glänzten fast fiebrig im Schein des flackernden Kerzenlichts. »Ich schwöre dir, Schwester, bei allem, was mir heilig ist: Ich habe keine unnatürlichen Vorlieben. Ich bin nie bei einem Mann gelegen.«
Sie seufzte erleichtert. O Himmel, wenigstens war er kein Todsünder. »Aber was ist es dann?«, fragte sie. »Ich weiß, ich bin nicht schön. Vielleicht gefall ich dir nicht? Bin ich nicht die Richtige? Geht es nicht, weil du mich nicht liebst?«
Er nahm sie in den Arm. »Du kannst nichts dafür.« Einen Augenblick lang fühlte er sich versucht, ihr alles zu erzählen. Von seiner Erziehung zum Katharer, von Widos immerwährenden Tiraden gegen alles Körperliche, von der Abscheu, die er so lange Zeit gehegt hatte, der Angst vor einer fleischlichen Vereinigung, die des Teufels war und seiner Seele den Weg in den Himmel verstellte. Der Ekel vor den Weibern, den er so verzweifelt abzulegen versuchte und der ihn einfach packte, jedes Mal, im letzten Moment. Aber dann schwieg er. Er wusste, wie fromm Elisabeth war. Sie hätte wohl eher damit leben können, dass er Sodomist war als ehemaliger Katharer.
»Vielleicht kann ein Arzt helfen?«, schlug sie vorsichtig vor. »Vielleicht sind deine Säfte nicht im Gleichgewicht …«
»Mein Leibarzt hat mir alles Mögliche gegeben«, sagte er. »Du hast es ja gemerkt: Nichts hat geholfen.«
Elisabeth fuhr sich müde über die Augen. »Aber sie warten auf Kinder«, sagte sie. »Und das Land braucht einen Erben. Deine Mutter fragt jedes Mal, wenn sie bei Hof ist. Die Frauen schauen mich dauernd mit diesen bohrenden Blicken an, ob sie wohl schon ein Anzeichen der Schwangerschaft erkennen können. Wir müssen doch …«
Er schlug mit der Faust auf das Kissen. »Herrgott ja! Glaubst du, das weiß ich nicht? Glaubst du, ich würde mich nicht jeden Tag selber verwünschen?«
Sie fuhr zusammen. »Verzeih. Ich wollte dich nicht kränken. Aber …«
Er packte sie an den Schultern. »Hör zu, Elisabeth. Ich habe lange nachgedacht. Es gibt eine Möglichkeit. Wir wären nicht die Ersten, die das tun. Du musst nur …«
»Was?«
»Du musst das Bett mit jemand anderem teilen, einem, der das tun kann, was mir versagt ist. Einem Mann, der dich schwängert.«
Was hatte er da gesagt? Elisabeth war unfähig, etwas zu erwidern, ihr Magen krampfte sich zusammen.
»Du würdest es für das Geschlecht der Ludowinger tun und für das Land.« Ludwig redete weiter auf sie ein. Immer noch hielt er sie an den Schultern fest. »Es ist doch nicht so schwer. Und mein Bruder würde uns den Wunsch nicht abschlagen.«
Ihre Augen weiteten sich noch mehr. »Heinrich?«, stieß sie hervor.
»Dann wäre die Blutlinie wenigstens gewahrt«, erwiderte er. Gleichzeitig spürte er die Starre, in die sie verfallen war. »Aber natürlich, wenn du willst – du kannst dir auch den Mann aussuchen. Einen, der dir gefällt. Er müsste nur vertrauenswürdig sein und bedingungslos schweigen. Vielleicht wäre Geld hilfreich oder ein kleines Lehen …«
Sie starrte ihn an. Das verlangte er von ihr? Nein, formten ihre Lippen stumm, dann flüsterte sie: »Nein.«
Er ließ sie los, fuhr sich durchs wirre Haar. »Herrgott, Elisabeth, das kann doch nicht so schlimm sein. Nur ein paarmal, bis du schwanger bist. Vermutlich macht’s dir ohnehin mehr Spaß als mit mir«, fügte er bitter hinzu.
Das war zu viel. Elisabeth stieß einen erstickten Schrei aus, sprang aus dem Bett und flüchtete aus der Schlafkammer. Draußen griff sie sich einen Nachtumhang, lief vorbei an den schlafenden Kammerknechten und aus dem Vorzimmer. Der Wächter, der auf dem Hocker vor der Tür
Weitere Kostenlose Bücher