Die Tore des Himmels
Das Blut ist ihm nur so über die Augen gelaufen, Gott sei Dank hat er deswegen nichts mehr gesehen, sonst hätt er mich bestimmt noch umgebracht. So hat er sich bloß auf den Bettsack fallen lassen und herumgegreint, was das für eine Welt sein soll, wo der Sohn die Hand gegen den Vater erhebt. Und dann hat sich die Mutter aus ihrer Ecke aufgerappelt, wo sie die ganze Zeit über gehockt war, und zu ihm gesagt: »Er ist nicht dein Sohn, du elendes Stück Schweinedreck, und ich dank dem lieben Gott dafür!«
Na, und jetzt weiß ich, dass ein welfischer Landsknecht mein echter Vater ist, ein richtiger Kriegsmann! Nicht der besoffene, widerliche Sack, der uns dauernd prügelt. Ich hab’s am anderen Tag gleich den anderen erzählt, und verdammt, die sind vielleicht neidisch!
Eine Woche später war er weg. Er ist einfach nicht mehr heimgekommen, und ich kann nicht grad sagen, dass ich traurig darüber wäre. Es ist schön, wenn man abends keine Angst mehr haben muss, dass die Tür aufgeht und es Prügel hagelt. Die Mutter weint dauernd, versteh einer die Weiber! Und gestern dann kommt der Wirt vom »Wilden Mann« herein und sagt, dass wir verschwinden sollen, weil wir schon seit Weihnachten keine Miete mehr bezahlt haben. Die hat er nämlich auch versoffen, der Drecksack!
Also packen wir unsere Siebensachen. Mutter leiht sich einen Leiterwagen von Onkel Ernfried, und wir tun alles hinein. Obendrauf kommt das Hannolein, weil es immer noch nicht so gut laufen kann wegen seiner argen O-Beine und weil es schwach auf der Brust ist. »Ach, ach, ach«, jammert die Mutter, wie wir den Karren durch den Schlamm in den Gassen ziehen. Wenigstens wissen wir, wohin. Onkel Ernfried kennt einen, der wohnt in der Salzgasse im Hinterhäuschen vom Kramladen, und der hat eine Kammer frei, ganz, ganz billig.
Die Kammer ist ein Kellerloch. Ohne Fenster, man muss die Tür auflassen, wenn man Licht braucht. Eine Feuerstelle hat’s auch nicht, aber Lutprant, so heißt der Kerl, sagt, wir können bei ihm droben was kochen, wenn wir wollen. Dafür soll ihm die Mutter putzen. Es gibt einen Abort draußen im Hof, den teilen wir uns mit ihm und denen vom Vorderhaus. Er stinkt furchtbar. Wahrscheinlich haben sie die Sickergrube seit Urzeiten nicht mehr räumen lassen, aber es ist immer noch besser als der Misthaufen vom »Wilden Mann«, weil man kann schön im Trockenen sitzen.
Also richten wir uns im Keller ein. Viel haben wir ja sowieso nicht. Lutprant hilft uns, aus alten Brettern ein Gestell zu bauen, auf das wir den Bettsack legen können, weil der Boden so feucht ist. Es riecht irgendwie modrig. »Mutter, hier ist’s nicht schön«, mault die Ida, und die Mutter weint. »Halt’s Maul«, sag ich zu Ida, »blöde Ziege!« Da greint auch die Ida, und der Michel und ich müssen auch beinahe heulen. Bloß das Hannolein sitzt zufrieden da und lutscht am Daumen, das eine Auge ganz nach hinten weggedreht.
Mit der Zeit gewöhnen wir uns ein bisschen ein. Der Lutprant ist gar kein so schlechter Kerl, er gibt uns oft die Reste von seinem Essen, und manchmal, wenn Mutter was zu kochen hat, schenkt er ihr ein Stück Speckschwarte oder ein paar Graupen dazu. Er arbeitet auf der Wartburg als Steineschlepper bei den Steinmetzen, geht ganz früh aus dem Haus und kommt abends hundsmüde heim. Und dann, als der Aprilregen kommt, wissen wir auch, warum unser Kellerloch so billig ist. Auf dem Boden steht fingerhoch das Wasser. Wir bringen alles auf dem Bettgestell in Sicherheit, und Michel und ich klauen Bretter und Bohlen, die wir so auslegen, dass man im Trockenen gehen kann. Alles ist klamm, Kleider und Decken, und wir kriegen alle den Husten. Nach zwei Wochen ist das Wasser wieder weg, dafür sind jetzt die Ratten da. Tagsüber geht’s, aber nachts, da kommen sie aus ihren Löchern und huschen herum. Wir hängen unsere Vorräte an Haken von der Decke ab, aber wer soll nachts bitte schön schlafen, wenn die Viecher dauernd übers Bett rennen? Michel und ich lauern den ganzen Tag über mit unseren Schleudern, und wir erledigen etliche. Wenn man genug Hunger hat, und den haben wir, dann schmecken die auch gar nicht so schlecht. Mutter kocht sie mit Zwiebeln und Knoblauch. Na, Hauptsache, was im Bauch, sagt Lutprant, als er es sieht. Und Mutters Tränen tropfen in die Rattensuppe.
Eines Tages dann klopft Lutprant an die Kellertür, an der Leine hat er einen hässlichen, struppigen Köter, grauschwarz, wie eine Wurzelbürste auf vier Beinen sieht er aus.
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