Die Tore zur Unterwelt 3 - Verräterische Freunde: Roman (German Edition)
entgegengesetzte Richtung zu bewegen. Er stand dazwischen, versuchte, sein Gleichgewicht zu halten und zu verhindern, dass ihm schwindlig wurde, als er sie anstarrte, ihre Schatten und ihr Licht.
»Bist du das da drin?« Sie tippte gegen ihre Schläfe.
»Ja«, sagte er. Seine Worte fühlten sich zu leicht auf seinen Lippen an, als wüsste er, dass er den Atem noch brauchen würde, den er für sie verschwendete.
Sie nickte.
»Hast du Angst?«
Sie nickte wieder.
»Glaubst du mir?«
Jetzt sah sie ihn an. Ihre Augen blitzten, blickten an ihm vorbei, durch ihn hindurch, um ihn herum. Die Farbe war zu stark, zu hell, zu lebendig, zu voll von … von irgendetwas. Es warf ihn um, störte das Gleichgewicht von Licht und Schwärze. Er schwankte, fiel aber nicht hin.
Er erwiderte den Blick.
Ohne zu blinzeln.
»Ich habe auf meinen Bruder geschossen«, sagte sie. »Ich bin über die Leiche meiner Schwester getreten.« Sie richtete ihren Blick wieder auf den Sand.
»Meinetwegen?«
»Nicht deinetwegen. Jedenfalls nicht ausschließlich. Sie waren etwas, was ich nicht war. Im Gegensatz zu dir, das ist mir klar geworden.«
»Warum?« Er fühlte einen Schmerz in seinem Nacken, es tat weh, die Frage auszusprechen.
Sie schüttelte den Kopf.
»Du bist alles, was mir geblieben ist.«
Der Schmerz wurde schärfer, schnitt in seine Kehle; er fürchtete sich, die Frage zu stellen, weil er Angst vor der Antwort hatte.
»Und wenn das ein Fehler ist?«
Sie sah ihn an. Ihre Augen waren nicht weniger strahlend, als sie härter wurden.
Sie stand auf. Sie stellte sich vor ihn. Die Sterne malten wandernde Bänder über ihr Gesicht, verwandelten es in eine Maske aus Silber und Schwarz. Ihr Haar wehte in einem Wind, der nicht existierte, strich um ihre Ohrläppchen, ließ sie zucken.
Ihr Bauch hob und senkte sich bei jedem Atemzug. Die Schatten bewegten sich mit ihr, umspielten die Konturen ihrer Muskeln, zogen einen Kreis aus undurchdringlichem Schwarz um ihren Bauchnabel. Die feinen Haare ihres Körpers schimmerten durchsichtig unter dem Silber, leuchteten, wo die Finger der Schatten nicht über ihren Bauch glitten, als er sich sanft hob und senkte.
Sie atmete. Sie lebte. Ihr Körper bewegte sich, wie sich die Erde bewegte, der Himmel und die Welt um ihn herum.
Bis auf ihre Augen.
Also richtete er seinen Blick auf sie. Er klammerte sich daran, um nicht zu stürzen.
»Dann werde ich dich so lange bewusstlos schlagen, bis es kein Fehler mehr ist«, erwiderte sie.
Sie stand vor ihm, und ihr Körper zitterte. Aber ihre Augen bewegten sich nicht. Sie wartete darauf, dass er etwas tat. Dass er tot vor ihre Füße fiel. Oder dass er sie tötete. Dass er sich umdrehte, sie verließ, um in etwas vollkommen anderem zu verschwinden.
Die Stille schmerzte in seinen Ohren. Da war etwas in seinem Verstand, etwas, was er nicht hören konnte. Es hatte keine Worte. Keine Sprache.
Er trat vor, um wenigstens den Sand zu hören, der unter seinen Füßen knirschte. In dem Moment bewegte sich die Welt etwas zu sehr in die eine Richtung und der Himmel etwas zu sehr in die andere. Er stürzte.
Er spürte sie, als sie ihn auffing. Er spürte das Keuchen in ihrem Atem an seiner Brust. Er spürte die Kälte ihres Schattens, der über ihn glitt.
»Ich bin müde«, flüsterte er. »Ich bin … sehr müde.«
Sie konnte es spüren. Sie spürte das Ächzen von Muskeln, die sich bemühten, ihn auf den Beinen zu halten. Sie fühlte das Murmeln des Herzens in seiner Brust, das warm und müde schlug.
»Du musst ausruhen«, flüsterte sie.
»Ich muss …«
Sie konnte seine Stimme hören. Sie hörte ein Beben, das nicht mehr dort war. Sie hörte ein Seufzen mit jedem Atemzug.
»Ich brauche …«
Sie konnte seinen Körper hören. Sie hörte das Geräusch, mit dem Haut an Haut rieb, als er seinen Arm um sie schlang. Sie hörte die Verzweiflung in seinem Griff, als seine Hand gegen ihren Rücken, gegen ihre nackte Taille drückte. Sie hörte das Knistern von Tuch, als er ihren Bauch gegen seinen presste.
»Ich …«
Dann gab es keine Stimmen mehr.
Keine Sprache. Er lehnte sich schwer gegen sie, damit er nicht stürzte, presste seine Lippen gegen ihre, um nicht davongetragen zu werden.
Jetzt gab es nichts mehr zu hören.
Jetzt fühlte sie ihn.
Sie schmeckte die Verzweiflung auf seinen Lippen, das Drängen, das von seiner Zunge auf ihre tropfte. Sie konnte ihn fühlen, jeden Teil von ihm, alles, was von ihm übrig war. Sie spürte ihn im Griff seiner
Weitere Kostenlose Bücher